Hallo Dasha,
ich werde versuchen, Deine Fragen zu beantworten:
1. Oh, nicht, weil Glück ist,
dieser voreilige Vorteil eines nahen Verlusts.
(Die neunte Elegie)
Dieses "nicht, weil" ist der erste Teil einer Antwort auf die Frage "Warum..." von vorher. Der zweite Teil folgt in der nächsten Strophe:
"Warum... Menschliches müssen, ... sich sehnen nach Schicksal?"
Nicht deshalb, "weil Glück ist."
Sondern deshalb, "weil Hiersein viel ist."
2. ...Aber später,
unter den Sternen, was solls: die sind besser unsäglich.
(Die neunte Elegie)
Wenn wir auch versuchen wollten, "unsäglich" zu sein: wir würden es niemals so gut können wie die Sterne. Denn die Sterne können viel besser "unsäglich sein" als wir.
3. wie selbst das klagende Leid rein zur Gestalt sich entschließt
Namenlos bin ich zu dir entschlossen, von weit her.
(Die neunte Elegie)
- Meint "von weit her" hier "Raum" oder "Zeit"?
Das ist keine Grammatikfrage mehr, sondern eine der Interpretation.
Ich würde sagen: "von weit her" meint sogar etwas, das jenseits von Raum
und Zeit ist.
4. Verweilung, auch am Vertrautesten nicht,
ist uns gegeben;
(An Hölderlin)
- Im "Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", "etw. ist jmdm. gegeben" erklärt es "als Anlage, natürliche Fähigkeit mitgegeben, etw. liegt jmdm.". Aber in der englischen Übertragungen steht geschrieben "is vouchsafed" oder "is permitted"(zulassen), und noch jemand nimmt es für "für etw. bestimmt sein".
Was versteht man unter "etw. ist jmdm. gegeben"?
Einerseits hat der "Duden" natürlich recht, nämlich dann, wenn es um eine "Fähigkeit" geht.
Andererseits heißt es ja nicht "
mitgegeben", sondern "gegeben". Und damit stellt sich die Frage nach dem
Zeitpunkt dieser "Gabe": ist "Verweilen" eine
Fähigkeit, die uns
von Geburt an als Anlage "gegeben" sein müßte, oder ist es etwas, das die
Umwelt uns während unseres Lebens "geben" müßte, damit es uns möglich würde?
Damit wird wohl auch hieraus eine Interpretationsfrage:
Warum ist uns "Verweilung, auch am Vertrautesten nicht, ... gegeben"?
Liegt es daran, daß uns als Menschen eine solche "Fähigkeit" nicht
mitgegeben ist?
Oder liegt es daran, daß die Gesetze der "Welt" ein solches "Verweilen" nicht
zulassen?
Rilke schreibt allerdings "
ist uns gegeben" (
Zustandspassiv) und nicht "
wird uns gegeben" (
Vorgangspassiv).
So gesehen, finde ich die englische Übersetzung "permit" (die wohl von einem "Zulassen" durch die "Umwelt" ausgeht) ein wenig problematisch: denn "is permitted" würde im Deutschen mit "
wird zugelassen" wiedergegeben, und nicht mit "
ist zugelassen,
ist gegeben".
Ich finde im Moment die Übersetzung mit "vouchsafe",
gewähren, nicht schlecht. Denn auch was uns von Geburt an "mitgegeben" ist, wäre uns ja "gewährt" von demjenigen, der es uns mitgegeben hat... und da derjenige, der uns alles gewährt hat, uns (dadurch) auch "für etwas bestimmt" hat, kann man natürlich auch diesen Ausdruck zur Übersetzung heranziehen.
Allerdings gibt es ja das viel einfachere englische Wort "given". Das trifft es am allerbesten, eben weil es nach so vielen Richtungen "offen" ist...
Ich weiß nicht, ob ich mich Dir gut verständlich machen konnte.
Sollte etwas nicht klargeworden sein, frag doch bitte nochmal nach!
Lieben Gruß
Ingrid
P.S.: Mir fällt gerade auf, wie gut "Verweilung, auch am Vertrautesten nicht, ist uns gegeben" zu Deiner Signatur paßt...
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)