Zuerst einen herzlichen Neujahrsgruß an alle!
Und vielen Dank für dieses Gedicht! Ich kannte es nicht, aber das, was ich darin ausgedrückt finde, das kenne ich sehr gut.
Für mich handelt es sich allerdings nicht unbedingt um die Begegnung zweier Liebender im Sinne eines „Liebespaares“, wie Du,
Doppelweihnachten ![Wink :wink:](./images/smilies/icon_wink.gif)
, es offenbar verstehst.
Ich möchte auch noch die von mir hervorgehobene Passage aus einem anderen Gedicht heranziehen, um klarzumachen, was ich meine:
NÄCHTLICHER GANG
NICHTS ist vergleichbar. Denn was ist nicht ganz
mit sich allein und was je auszusagen;
wir nennen nichts, wir dürfen nur ertragen
und uns verständigen, daß da ein Glanz
und dort ein Blick vielleicht uns so gestreift
als wäre grade das darin gelebt
was unser Leben ist. Wer widerstrebt
dem wird nicht Welt. Und wer zuviel begreift
dem geht das Ewige vorbei. Zuweilen
in solchen großen Nächten sind wir wie
außer Gefahr, in gleichen leichten Teilen
den Sternen ausgeteilt. Wie drängen sie.
Für mich geht es um diese kostbaren Augenblicke, in denen man sich mit einem anderen Menschen (der einem vielleicht bis dahin ganz fremd war, und möglicherweise auch weiterhin fremd bleiben wird) so innig verständigt, daß plötzlich einfach
alles einen Sinn ergibt… und es ist, als hätte man sein ganzes Leben darauf gewartet, einen solchen „Horchenden“ zu finden.
In solchen Stunden des tiefinnerlichen Verständigtseins kann uns klar werden, daß wir nicht bloß in den „Rahmen“ unseres Alltags gestellt sind, sondern in einen viel „größeren Bezug“, jenseits von Raum und Zeit und allen anderen üblichen irdischen Bezugssystemen…
Und wenn wir einen solchen „Horchenden“ gefunden haben, wenn auch nur für einen Augenblick … dann kann es sein, daß ein kostbares gemeinsames Schweigen entsteht. Ein Schweigen, auf das wir lange gewartet haben, ein verständnis-inniges Schweigen, das mehr sagt als tausend Worte… und es wächst die Gewißheit: zwei Menschen, die einen solchen Augenblick miteinander teilen, wachsen miteinander in einem „Garten“, der „nicht in der Zeit“ ist, der etwas „Ewiges“ hat.
Dieses kostbare, verbindende Schweigen selbst aber ist nicht „ewig“, es hat einmal ein Ende. Und das erste Wort nach einem solchen Schweigen kann schon etwas „Trennendes“ haben.
Aber es kann gelingen, diesen Augenblick im Herzen zu bewahren… und man lächelt einander an, man weiß im tiefsten Inneren um diese „Zusammengehörigkeit“. Und um dieses „ich bin nicht allein“ ist man nun „gewachsen“, ist reicher als vorher, „größer“, wie Rilke es ausdrückt.
Ob man im Alltag "zusammenbleiben" wird oder nicht, das scheint mir für dieses kostbare "Zusammengehörigkeitsgefühl" gar nicht so sehr von Belang zu sein.
„und alle Worte haben Sinn“ --- ja, das ist eine Besonderheit, daß diese Zeile so verkürzt ist, danke, Dominik, daß Du darauf aufmerksam machst! Ich hätte es womöglich gar nicht bemerkt, weil zu mir der
Inhalt eines Gedichtes meistens sehr viel eindringlicher spricht als seine
Form... nein, das ist so nicht ganz richtig: die
Form eines "gelungenen" Gedichtes ist für mich so organisch mit seinem
Inhalt verbunden, daß sie mir zunächst mal gar nicht extra auffällt, so als ob sie gar nicht anders sein könnte...
Das ist auch hier so. Wenn Rilke geschrieben hätte "und alle Worte haben
einen Sinn" --- dann würde mir etwas "fehlen", nämlich der tiefe "Gongschlag", den ich bei "und alle Worte haben Sinn" empfinde, und der das Wort "Sinn" auf eine ganz andere Ebene der "Gültigkeit" zu erheben scheint...
Als "Erklärungsversuch": es könnte sich darum handeln, daß diese Zeile ebenso „aus der Form“ herausgehoben ist, wie in der nächsten Strophe vom „Garten“ gesagt wird: er „ist nicht aus der Zeit“.
Wenn es ums „Horchen“ geht, dann denke ich natürlich an
Alfred Tomatis und seinen „Klang des Lebens“, da finde ich:
Hier meine Hypothese: die gesamte Phylogenese, die in verblüffender, wenn auch verkürzter Weise von der menschlichen Ontogenese wiederholt wird, ist bestimmt vom Horchen und damit vom Suchen nach der Sprache, dem Logos (um das ursprüngliche Wort zu nehmen, das der Bedeutung dieses Phänomens weit besser gerecht wird). Mit anderen Worten: die Evolution scheint auf ein einziges Ziel gerichtet zu sein: das „Wort“, den Logos zu erhorchen…
Und ich denke auch an
Viktor Frankl, der um das Leiden des Menschen am „sinnentleerten Leben“ wußte, und an seine „Logotherapie“, der die „Suche nach dem Sinn“ zugrundeliegt.
Frankl sprach von der „selbsttranszendenten Natur des Menschen“, also davon, daß „Mensch-Sein“ immer ein „Über-sich-Hinausweisen“ bedeutet.
Und er sagte schließlich über sich selbst:
Der Sinn meines Lebens war es, anderen Menschen für ihr Leben Sinn zu geben. - für mich ist auch er damit ein "Horchender" im Sinne dieses Gedichtes.
Lieben Gruß!
stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)