Die Rosenschale

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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rogerbecker
Beiträge: 2
Registriert: 13. Feb 2007, 17:15

Die Rosenschale

Beitrag von rogerbecker »

Die Rosenschale ist eines meiner Lieblingsgedichte. Man kann es immer wieder lesen und es kommt immer was Neues zu Tage. Ich habe allerdings ein Verständnisproblem mit der ersten Strophe: sie passt so gar nicht zum Rest des Gedichts (?). Hat jemand hier eine Idee, eine Interpretation? Ist es vielleicht eine Beschreibung dessen, was auf der Rosenschale abgebildet ist? Was ist überhaupt eine Rosenschale? So etwas wie eine Rosenvase?

Vielen Dank

Roger
stilz
Beiträge: 1243
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Beitrag von stilz »

Lieber Roger,

ja, ich glaube, eine Rosenschale ist so etwas wie eine Vase, ein großes Glas stelle ich mir vor...

Und Deine Frage nach der ersten Strophe.
Sie löst sich für mich im Zusammenhang mit der letzten Strophe:

Zornige sahst du flackern, sahst zwei Knaben
zu einem Etwas sich zusammenballen,
das Haß war und sich auf der Erde wälzte
wie ein von Bienen überfallnes Tier;
Schauspieler, aufgetürmte Übertreiber,
rasende Pferde, die zusammenbrachen,
den Blick wegwerfend, bläkend das Gebiß
als schälte sich der Schädel aus dem Maule.


Ja, das alles und noch viel mehr kann man sehen, im Leben "da draußen", im Alltag, der nicht immer nur still und friedlich und "schön" ist...

Nun aber weißt du, wie sich das vergißt:
denn vor dir steht die volle Rosenschale,
die unvergeßlich ist und angefüllt
mit jenem Äußersten von Sein und Neigen,
Hinhalten, Niemals-Gebenkönnen, Dastehn,
das unser sein mag: Äußerstes auch uns.


Die Rosen in der Schale machen es vor, wie das geht, daß "sich das vergißt", jede einzelne auf ihre Weise.
Und dann:

Und sind nicht alle so, nur sich enthaltend,
wenn Sich-enthalten heißt: die Welt da draußen
und Wind und Regen und Geduld des Frühlings
und Schuld und Unruh und vermummtes Schicksal
und Dunkelheit der abendlichen Erde
bis auf der Wolken Wandel, Flucht und Anflug,
bis auf den vagen Einfluß ferner Sterne
in eine Hand voll Innres zu verwandeln.



Hier ist sie wieder, die Welt da draußen, dieselbe wie in der ersten Strophe, in der auch die wilden Knaben sind und der Haß... die Rosen können das alles in eine Hand voll Innres ... verwandeln, und dann enthalten sie nur noch sich... aber in diesem ihren Inneren eben ist alles von "da draußen" enthalten, in "verwandelter" Weise...

Ich denke dabei auch an die Neunte Elegie:

Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar
in uns erstehn?



Du hast recht, es ist ein ganz wunderbares Gedicht!

Lieben Gruß

Ingrid
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
rogerbecker
Beiträge: 2
Registriert: 13. Feb 2007, 17:15

Beitrag von rogerbecker »

Liebe Ingrid,

ganz, ganz herzlichen Dank für Deine Antwort. Ich finde es ganz toll, wie Du die erste Strophe in den Zusammenhang mit der letzten Strophe stellst. Das ist einleuchtend und Deine Interpretation hat wirklich "Tiefe". Jetzt sehe ich das Gedicht noch einmal in einem anderen Licht. Aber es ist ja nicht nur ein Gedicht: es ist für mich die schönste Darstellung der menschlichen Empfindung und der Verinnerlichung auf das Wesentliche.

Liebe Grüße

Roger
helle
Beiträge: 351
Registriert: 6. Mai 2005, 11:08
Wohnort: Norddeutsche Tiefebene

Beitrag von helle »

"und Dunkelheit der abendlichen Erde",

ist eine schöne, melancholisch machende Zeile, tempi passati, in den Städten weiß man kaum noch, was das ist.

- zum Thema trägt das nichts bei, es ist nur ein Zwischenruf

von helle
stilz
Beiträge: 1243
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Beitrag von stilz »

Ich habe eben dieses wunderbare Gedicht in meinem Insel-Rilke-Band nachgelesen... und da finde ich noch eine letzte Zeile, die hier
http://rilke.de/gedichte/die_rosenschale.htm
leider fehlt.

Ich finde, es ist eine ganz besondere Zeile, und ich möchte sie hier nachreichen:


Und sind nicht alle so, nur sich enthaltend,
wenn Sich-enthalten heißt: die Welt da draußen
...
... bis auf den vagen Einfluß ferner Sterne
in eine Handvoll Innres zu verwandeln.

Nun liegt es sorglos in den offnen Rosen.



Dieses "sorglos" berührt mich sehr.

Alles Liebe!

Ingrid
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