Einsamkeit

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

Antworten
ralf
Beiträge: 3
Registriert: 8. Okt 2006, 13:10

Einsamkeit

Beitrag von ralf »

Hallo!
Im Rahmen meiner Facharbeit muss ich auch ein Gedicht bearbeiten.ich habe mich dabei für das Gedicht einsamkeit von rilke entschieden.
Hier nochmal das Gedicht:

Einsamkeit

1Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
2Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
3von Ebenen, die fern sind und entlegen,
4geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
5Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.

6Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
7wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
8und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
9enttäuscht und traurig von einander lassen;
10und wenn die Menschen, die einander hassen,
11in einem Bett zusammen schlafen müssen:

12dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...

Leider hab ich schon mit dem Reimschema Probleme.ich hab nämlich a,a,a,b,c,d,c,d,d,e,e.Dies ergibt für mich kein vernünftiges Reimschema...
Ich würde sagen es wird ein Jambus verwendet,doch da würden die silben nicht aufgehen.bei der deutung(vor allem in der 2. strophe) mangelts auch noch...
kann mir vielleicht jemand helfen?
gliwi
Beiträge: 941
Registriert: 11. Nov 2002, 23:33
Wohnort: Ba-Wü

Beitrag von gliwi »

Hallo Ralf,
das ist wieder mal ein Fall für mich. Also zur Bedeutung kannst du hier unter "Gedichte" auf Seite 6 gehen, im untersten Viertel ist eine längere Diskussion. Vielleicht hilft dir das schon mal weiter. Ansonsten: Fragen so konkret wie möglich stellen.
Zum Reimschema: Was meinst du mit "vernünftig"? Außer beim Sonett gibt es eigentlich keine Vorschriften, wie die Reime angeordnet zu sein haben, das macht jedeR, wie es ihm/ihr gutdünkt. Das Reimschema hier ist: aaabb, cdcdde, e, du hast nur das zweite b vergessen. Wir haben also Paarreime, dabei einen Dreier, und Kreuzreime.
Was meinst du mit "die Silben nicht aufgehen"? Also die erste Strophe ist durchgehend Jambus, das ist richtig. Ebenso die zweite mit Ausnahme der ersten zwei Zeilen. Also x betont und - unbetont, dann ist Zeile 6 und 7:
x--x-x-x-x-, das wäre am Anfang ein Daktylus und dann Trochäen.
Zeile 12:
x--x-x--x-, also Daktylus, Trochäus,Daktylus, Trochäus.
Jetzt wäre zu fragen, warum diese Verse anders gebaut sind als die übrigen. Und warum er mal Paarreim, mal Kreuzreim wählt.
Das gibt dann das Tüpfelchen auf dem I und die bessere Note...
Viel Glück!
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
ralf
Beiträge: 3
Registriert: 8. Okt 2006, 13:10

Beitrag von ralf »

hallo,
also ich würde sagen, durch den jambus wird die ruhe/stille im gedicht wiedergespiegelt.Er wirkt eintönig/langweilig wie die Einsamkeit. Man würde sich daran gewohnen, wenn er nicht unterbrochen würde.
6&7: Im Gedicht ändert sich was: Die Einsamkeit die sich langsam ausbreitet kommt herab.(symbolisch durch den Regen).Das veränderte Metrum könnte die fallenden Regentropfen darstellen.(meist rythmisch)
12: wirkt wie die Wellenbewegung eines Flusses.Langsam, ruhig treibt der Fluss die Einsamkeit davon
ist ein bisschen was davon richtig?
Außer in der ersten Zeile ist es doch immer ein 5- hebiger Jambus mit meist unbetonten Kadenzen.Sagt dies auch was aus?
Wie bezeichnet man den Reim cdcdd?
Seine Wirkung auf jedenfall:Er zerstört die aufgebaute Ruhe, in der sich die Einsamkeit verbreitet.(duch Paarreime aufgebaut),die Harmonie.Es regnet, die Einsamkeit kommt herab und bringt unordnung mit sich.
Durch den anschließenden Paarreim stellt sich die harmonie wieder ein,die Einsamkeit verschwindet wieder.

Was soll es heißen, dass der himmel die einsamkeit immer hat?Soll es heißen, dass man auch im himmel einsam ist,oder ist es nur eine Antithese?
Genauso den abenden entgegen, heißt es man ist nur am abend einsam?was soll das mit den zwitterstunden?
gliwi
Beiträge: 941
Registriert: 11. Nov 2002, 23:33
Wohnort: Ba-Wü

Beitrag von gliwi »

Hallo Ralf,
Ob "es richtig ist", kann ich dir nicht sagen. Ich urteile: was du dir hier zum Rhythmus gedacht hat, ist folgerichtig und überzeugend. Ob es dein Lehrer auch so empfindet, weiß ich nicht, aber du musst deinen Standpunkt mit Überzeugung vertreten, allerdings immer subjektiv: Ich empfinde das so...mir scheint...ich meine...
Meines Wissens hat diese Reimform keinen Namen, 100% sicher bin ich aber nicht.
Ich meine, der Himmel selbst ist immer einsam - es gibt ja auch nur einen.
Zwitterstunden habe ich als Stunden der Dämmerung verstanden, Zwitter zwischen Nacht und Tag.
Ich denke, am Abend wird man sich der Einsamkeit bewusst, wenn die Betriebsamkeit des Tages aufhört. Man spürt sie dann, wie man Regen spürt.
Und sie hat diesen Rhythmus wie der Regen: Sie kommt herunter, geht mit dem Fluss, verdunstet wieder und steigt auf mit den Wolken - d.h., sie ist ebeso regelmäßig und unvermeidlich wie dieser Naturvorgang.
Hallo RilkefreudInnen, mischt euch bitte ein!
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
gliwi
Beiträge: 941
Registriert: 11. Nov 2002, 23:33
Wohnort: Ba-Wü

Beitrag von gliwi »

:roll:
Zuletzt geändert von gliwi am 19. Okt 2006, 16:32, insgesamt 1-mal geändert.
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
Schmörr
Beiträge: 17
Registriert: 8. Nov 2003, 00:37
Wohnort: Bad Zell
Kontaktdaten:

Beitrag von Schmörr »

Hallo liebe Rilkefreunde!
In meinem Gedichtband " Buch der Bilder"aus dem Jahre 1976 geht die Einsamkeit mit den Füßen.
Was ist nun richtig?
Wenn ich mir vorstelle, dass die Einsamkeit in den Zwitterstunden allso zwischen Nacht und Tag auf die Menschen regnet, wird die Einsamkeit auf einmal menschlich. Sie ist dann da, zwischen den Menschen, bei den Menschen- sie geht mit den Füßen.....?
Freue mich auf eine Antwort!
Alles Liebe Schmörr
gliwi
Beiträge: 941
Registriert: 11. Nov 2002, 23:33
Wohnort: Ba-Wü

Beitrag von gliwi »

Hallo Schmörr,
auf "müssen" reimt sich nur "Flüssen", "Füßen" als Reim ist unmöglich. Langer und kurzer Vokal, das geht nicht. Ich habe zwei Ausgaben, beidesmal "Flüssen", scheint mir auch vom Inhalt besser zu passen. Füßen mit Scharf-s? Dann wären ja sozusagen zwei Fehler drin, sonst wäre es eindeutig ein Druckfehler.
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
stilz
Beiträge: 1243
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Beitrag von stilz »

Also auch hier eine "Einmischung" von mir:

Die Metapher des Wasserkreislaufes wirft ein vielleicht ungewohntes Licht auf die Einsamkeit: sie ist also nicht etwas, das es nur manchmal, nur in bestimmten Situationen oder bei bestimmten Menschen gibt, sondern die Einsamkeit ist immer vorhanden, so wie das Wasser in der Natur...

Dazu fällt mir die Stelle aus dem Brief an E. Bodman ein:

... ist die gute Ehe die, in welcher jeder den anderen zum Wächter seiner Einsamkeit bestellt und ihm dieses größte Vertrauen beweist, das er zu verleihen hat.
...
Deshalb muß also auch dieses als Maßstab gelten bei Verwerfung oder Wahl: ob man an der Einsamkeit eines Menschen Wache halten mag, und ob man geneigt ist, diesen selben Menschen an die Tore der eigenen Tiefe zu stellen, von der er nur erfährt durch das, was, festlich gekleidet, heraustritt aus dem großen Dunkel.


Auch hier ist von einer Einsamkeit die Rede, die selbstverständlich da ist, zur Natur des Menschen und seines Lebens gehörig... und diese "Einsamkeit" finde ich nicht automatisch als etwas "Schlechtes" bewertet, sondern eben als Teil der Natur angesehen, so wie auch der Regen es ist.

Diese Einsamkeit steigt auf, vom Meer, und aus den weiten Ebenen... und der Himmel "hat sie immer":
Angesichts großer Weiten, wie es eben das Meer und vor allem der unendliche Himmel sind, wird mir meine Einsamkeit, mein Alleinsein inmitten dieser Weite, leichter bewußt als zum Beispiel in einer Stadt, wo es keine großen Entfernungen gibt, wo der nächste Mensch zumindest räumlich ganz nahe ist...
Aber auch über der Stadt gibt es den Himmel (in den Städter wohl nicht ganz so oft blicken, wie man es am Meer oder in weiten Ebenen gewohnt ist), und es gibt auch hier die "Zwitterstunden" (ich verstehe sie wie gliwi als die Stunden der Morgen- oder Abenddämmerung), in denen plötzlich Raum wird für das Innewerden dieser Einsamkeit...
Am Morgen, wenn es wieder hell wird, die Betriebsamkeit des Tages wieder beginnt, dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen, fließt wieder ins Meer, um erneut zum Himmel aufsteigen zu können und am Abend auch auf die Städter niederregnen zu können...


Ohne Euch wäre ich auch bei diesem Gedicht nie auf die Idee gekommen, nach Reimschema oder Versmaß zu schauen... aber gut, versuchen wir´s:

Es gibt also in der zweiten Strophe zunächst einen Kreuzreim, keinen Paarreim... na klar, für Leiber, die enttäuscht und traurig voneinander lassen, weil sie nichts gefunden haben, kann ich doch keinen Paarreim brauchen!

Zeile 10 und 11 ist eine ganz fürchterliche Stelle, finde ich...
Drückt sich das auch im Reimschema aus?
Zuerst hassen, noch einmal ein Versuch, an den vorigen Reim, das Suchen der Leiber und von einander Lassen, anzuschließen... erfolglos, alles, was man findet, ist ein Müssen --- wenn es auch, rein äußerlich besehen, ähnlich klingt wie der vorige Reim, nur der Vokal, also das "Innenleben", ist anders... kann das ein weiterer Ausdruck der Metapher vom Aufrechterhalten des Scheins durchs Schlafen im selben Bett, obwohl innen längst "der Wurm drin" ist, sein? Oder zu weit hergeholt? Ich weiß es nicht...
Jedenfalls: müssen reimt sich - nach kurzem Atemholen - dann doch noch auf Flüssen, es gibt einen Ausweg, wie man den nächsten Tag überstehen kann, die Einsamkeit fließt wieder ins Meer, und man weicht in die Betriebsamkeit des Tages aus...

Ich weiß nicht recht... auch wenn ich auf diese Weise irgendwie eine gewisse Logik im Reimschema zu entdecken scheine, es gefällt mir eigentlich nicht, Gedichte auf diese Weise "abzuklopfen".

Ob man damit wirklich eine bessere Note erzielen kann, vermag ich nicht zu sagen.
Aber es tut mir eigentlich fast weh, wenn angedeutet wird, man könnte keine andere Motivation als die der besseren Note in sich finden dafür, sich auch mit dem Inhalt dieses Gedichtes zu beschäftigen!

Lieben Gruß

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Antworten