Süddeutsche Nacht...

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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Astrid
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Süddeutsche Nacht...

Beitrag von Astrid »

Hallo,

zu folgendem Gedicht zwei Fragen: gibt es ein Bild von Hans Thoma , auf das sich dieses Gedicht bezieht ? Wieso steht am Ende des Gedichts - abgehoben -: "... Eine Blonde" , wen meint es und warum endet das Gedicht gerade hier, mitten im Satz ? Wann ist dieses Gedicht entstanden ?

Gedicht zu Hans Thomas Sechzigstem Geburtstage

Mondnacht

Süddeutsche Nacht, ganz breit im reifen Monde,
und mild wie aller Märchen Wiederkehr.
Vom Turme fallen viele Stunden schwer
in ihre Tiefen nieder wie ins Meer, -
und dann ein Rauschen und ein Ruf der Ronde,
und eine Weile bleibt das Schweigen leer;
und eine Geige dann (Gott weiß woher)
erwacht und sagt ganz langsam:
Eine Blonde...

Astrid :lol:
Andrea
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Re: Süddeutsche Nacht...

Beitrag von Andrea »

Hallo Astrid,

zu Hans Thoma kann ich leider nichts sagen. Aber zum letzten Vers vielleicht soviel, dass etwas sich doch aus dem Zusammenhang verstehen ließe:
Astrid hat geschrieben: und eine Geige dann [. . .]
erwacht und sagt ganz langsam:
Eine Blonde...
Die selben Motive (eine unerwartete Geige, eine Geliebte) finden sich, um den Zusammenhang zu erweitern, außerdem auch in der ersten Duineser Elegie:

"[. . .]oder
da du vorüberkamst am geöffneten Fenster,
gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.
Aber bewältigtest du's? Warst du nicht immer
noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles
eine Geliebte dir an?"

Leider weiß ich im Moment nicht zu sagen, wann genau Rilke diese 'Mondnacht' verfasste, geschweige denn, ob Rilke wusste, dass Hans Thoma in eine blondhaarige Frau verliebt gewesen wäre oder ähnliches...aber das sind schließlich nur die biographischen Fakten. Wenn du fragst, "Wieso steht am Ende des Gedichts - abgehoben -: "... Eine Blonde" , wen meint es und warum endet das Gedicht gerade hier, mitten im Satz " scheinst du dich eher auf den Sinn innerhalb des Gedichtes zu beziehen, oder habe ich dich missverstanden?

Schöne Grüße,

Andrea
Astrid
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Beitrag von Astrid »

Hallo Andrea,

Du hast mich richtig verstanden. Die Sache ist die, dass ich dieses Gedicht zuerst im Kontext gelesen habe in einem längeren Artikel und dachte, der Autor hätte nur einen Teil des Gedichts zitiert, was er mit den drei Punkten am Schluss des Gedichts andeuten wollte. Nun habe ich nachgesehen und festgestellt, dass auch bei Rilke das Gedicht an dieser Stelle endet. ... So ist meine Frage entstanden ...

Astrid :lol:
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lilaloufan
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Hans Thoma 60

Beitrag von lilaloufan »

Zunächst mal nur zu Hans Thoma; der sechzigste Geburtstag war jedenfalls, sagt Wikipedia®, am 2. Oktober 1899. Die beiden Hans Thoma zugeeigneten Gedichte sind: „Berlin-Schmargendorf, Juli 1899“ datiert, also ein Vierteljahr vor dem Jubiläum – bewundernswert (mir fallen Geburtstage frühestens an dem Morgen ein, an dem man persönlich noch gerade, aber per Brief schon nicht mehr rechtzeitig gratulieren kann)!

Hier zur Vervollständigung deiner Frage @Astrid (ich rätsele auch ---) das zweite Gedicht:
  • Ritter

    Reitet der Ritter in schwarzem Stahl
    hinaus in die rauschende Welt.

    Und draußen ist Alles: der Tag und das Tal
    und der Freund und der Feind und das Mahl im Saal
    und der Mai und die Maid und der Wald und der Gral,
    und Gott ist selber vieltausendmal
    an alle Straßen gestellt.

    Doch in dem Panzer des Ritters drinnen,
    hinter den finstersten Ringen,
    hockt der Tod und muss sinnen und sinnen:
    Wann wird die Klinge springen
    über die Eisenhecke,
    die fremde befreiende Klinge,
    die mich aus meinem Verstecke
    holt, drin ich so viele
    gebückte Tage verbringe, -
    dass ich mich endlich strecke
    und spiele
    und singe.
Gibt der ‚längere Artikel’, in dem du drauf gestoßen bist, einen Schlüssel her?
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
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lilaloufan
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Hans Thoma

Beitrag von lilaloufan »

Ich weiß nicht recht, irgendwie erinnert mich dieses «eine Geige dann (…) erwacht und sagt ganz langsam: „Eine Blonde“» an Jacky Brown und Baby Miller in Kurt Feltz’ herrlichem Song: „Kriminal-Tango in der Taverne“… Eine [A…-]'Geige', ist das in Ganovensprache vielleicht der Kommissar? „Eine 'Blonde'“ die Havanna, zum verabredeten Zeichen zu entzünden? Ach, ich kenn’ mich mit Krimis noch weniger als mit Poetik aus!

Aber ich kann mir keinesfalls wirklich vorstellen, dass diese Zeile des 23-jährigen Rilke dem bald 60-Jährigen mitwisserisch-distanzlos sagen will: „Kennen Sie den?: Eine Blondine…“.

Es gibt von Hans Thoma einen Brief aus dem Entstehungsjahr dieses Gedichts, vom 2. November - also einen Monat nach dem 60. Geburtstag - der gibt vielleicht etwas her (ich habe ihn noch nicht recherchiert; willst du, @Astrid, meinem p.m.-Hinweis auf Joachim Rössiger einmal nachgehen?…).


Was eigentlich heißt „Ruf der Ronde“? Berufung durch die Table Ronde? - aber nein, an die Karlsruher Akademie wurde man damals durchaus nicht in demokratischem Procedere berufen, die Ehre gab sich der Großherzog von Baden höchstselbst. Berufung als Vorsitzender der Frankfurter Künstlergesellschaft? Das sind Provinzgeschichten, keine Rilke-Zeile wert.

Ich bin in den Sechzigern in die Taunusschule gegangen, habe von Königstein immer nach KronbergBild
herübergeguckt
[Dank an http://www.kronberger-maler.de für die schöne Reproduktion hier; dort, wo zu Thomas Zeit eine weite leere Ebene sich breitet, dort haben Frankfurt & Satelliten heute alles zugebaut!],
habe zwischen Abitur und Studium dann in Oberursel als Postzusteller gejobbt, auch in dem Zustellbezirk, in dem Hans Thomas Haus stand, und am Marktplatz um die Hans Thoma-Gedächtnisstätte herum; Hans Thoma ist dort allgegenwärtig. In jedem Viertklass-Klassenraum (Heimatkunde!) hing der
„Blick in ein Taunustal“.Bild
Vielleicht interessiert mich deswegen dieser Thread so sehr, mehr aus Nostalgie denn aus Forscherdrang?

Übrigens von wegen „in eine Blonde verliebt?“: Thomas Frau, Cella Thoma-Berteneder, war im Entstehungsjahr dieses Gedichts seit 22 Jahren mit Thoma verheiratet. Sie hatte Thoma im Atelier des (deutschen) Malers Viktor Müller (1830-1871), wo sie schon als 12-Jährige Modell gesessen hatte, kennen gelernt und war mit 17 Jahren seine Malschülerin, als 19-Jährige seine Frau geworden. Da müsste es doch Portraits von ihr geben? Bekannt sind mir nur Werke von ihr, die hängen im Taunus auch allerorten: z. B.
Bild.
Ob Rilke sie kennen gelernt hat?



[Der (tschechische) Maler des folgenden Bildes heißt auch Viktor Müller (1871-1951), Bild , aber es ist nicht der, nach dessen Frauenportraits die Fahndung läuft…]
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lilaloufan
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Rilke und Hans Thoma

Beitrag von lilaloufan »

Nun hab’ ich doch noch was gefunden (was natürlich nicht beweist, dass Cella châtainfarb'nes Haar hatte);
Bild
offenbar schrieb sich V. Müller mit „c“: Victor! Aber er starb schon 1871; da war sein Modell Cella Berteneder noch Jugendliche. Seltsam das alles. Hans Thoma hat seine Frau übrigens 23 Jahre überlebt; sie wurde 43, er 85 Jahre alt.

Hat Rilke auch nach dem besagten 60. Geburtstag noch Kontakt mit ihm gepflegt/ Bezug auf ihn genommen?
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