Interpretation von Dein Garten wollt ich sein zuerst

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

hamster
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Interpretation von Dein Garten wollt ich sein zuerst

Beitrag von hamster »

Hallo!

Ich muss auf Montag das Gedicht "Dein Garten wollt ich sein zuerst" formell und inhaltlich analysieren!
Hab bereits formell angefangen und jetzt bin ich beim Inhalt und komme nicht weiter, könnt ihr mir vielleicht helfen? Das Gedicht ist unter http://www.onlinekunst.de/rilke/02_dein_garten.html zu finden...

Bei der Reimforn bin ich auf einen umarmenden Reim gekommen (in der ersten Strophe mit einem Reimtripelt), das Gedicht hat als Versfuss einen Jambus und in der Zeile vier/fünf, 1. Strophe hat es ein Enjambement.

Versschlüsse:
a
b
b
b
a

c
d
d
c

a = (weiblicher reiner Reim)
b = (männlicher reiner Reim)
c = (männlicher unreiner Reim)
d = (weiblicher reiner Reim)

Das wäre meine formelle analyse, aber wie gesagt, komme ich bei der interpretation vom inhalt nicht weiter :-(

Vielen Dank für eure Hilfe!
Gast

Beitrag von Gast »

Orientiere dich an der gegensätzlichen Zweiteiligkeit und den allegorischen Zügen des Gedichts. Wie verhält sich das lyrische Ich zur "muttermatten Schönheit" zunächst und wie verändert sich das?
Eine formale Analyse ohne inhaltlichen Bezug ist hohles Geklapper.
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Die Bezeichnungen "männlich" und "weiblich" bekämpfe ich als sexistisch. Wenn du stattdessen "einsilbig" und "zweisilbig" sagst, verwechselst du es auch nicht wie hier bei a und b. Und rein oder unrein - verliere dich nicht in solche Details, das bringt nichts. Worauf ich immer Wert lege, das sind die Alliterationen: Ranken, Rabatten; Schönheit, ...schatten; Muttermatten; ruft, roten; wenn, weißen, winkst. Inhalt? Nimm es als den 52. Weg "to leave your lover". In der ersten Strophe wollte er sich ganz diesem schönen Du widmen, aber in der zweiten interessiert sie ihn plötzlich nicht mehr. Dabei ist der Garten nur eine Metapher - ein Bild. Dem spüre mal nach, dann kommt schon was heraus.
Gruß
gliwi
p.s. mein namenloser Vorredner hat natürlich Recht, aber was er sagt, gilt für Fortgeschrittene - Anfänger sind damit überfordert.
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
hamster
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Beitrag von hamster »

Vielen Dank für eure schnelle und präzise Hilfe! werde mich jetzt also mehr mit dem Inhalt befassen und nicht so auf das formelle achten :-)
Harald
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Beitrag von Harald »

Der Namenlose hatte nur vergessen, sich anzumelden.
Man darf doch nie Verszeilen nie isoliert betrachten, vor allem, wenn man hungrig ist, sonst kommmt man nur auf dumme Gedanken. Wie heißt es doch so einladend in diesem Gedicht?
"das ruft mich zu den roten Beeten".

Aber ernsthaft:
"damit du mit dem muttermatten
Lächeln gern mir wiederkehrst.

Da aber - als du kamst und gingst"

Dieses "kamst und gingst" ist wohl auf die zunächst ersehnte Wiederkehr zu beziehen, die dem erotisch Erweckten ("ist etwas mit dir eingetreten") aber schon nicht mehr genügt - "muttermatt" deutet auf einen gewissen Altersunterschied hin.
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
hamster
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Beitrag von hamster »

Frage an gliwi:

du hast geschrieben, dass in der ersten strophe vorallem bezug auf das Du genommen wird, und in der zweiten alles vergessen wird! könnte man das so deuten, dass er in der ersten Strophe träumt und in der zweiten plötzlich erwacht?
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Nein, so sehe ich das nicht. In der ersten liebt er nur sie, die eine, die mit dem muttermatten Lächeln In der zweiten, wie Harald sagt, interessiert ihn plötlich was anderes - eine andere? Das sagt er nicht direkt. Die weißen Beete sind die unschuldigen, die roten die der Liebe und des Lebens. Könnte heißen, er will jetzt nicht mehr nur platonisch lieben und verehren, sondern konkret. Deswegen lässt er die "muttermatte" im weißen Beet stehen und wendet sich dem roten - der körperlichen Liebe - zu. (Passt zu der Information, dass er es mit 22 geschrieben hat - die jungen Leute fingen damals nicht so früh an wie heute.) Es wird allerdings nicht gesagt, dass da schon eine steht, im roten Beet. Er bekundet nur sein Interesse an diesem Teil des Gartens.
Ja, Harald, zu zweit kommt man halt doch immer weiter beim Interpretieren als allein. Auf den "erotisch Erweckten" wäre ich jetzt nicht gekommen, aber es leuchtet mir völlig ein. "Weiß" und "Rot"! "Glauben Sie, aus Habana, weiß und hibiskusrot, bräch ein ewiges Manna für Ihre Wüstennot?"(Benn)
Schönen Sonntag noch, Hamster und Harald!
gliwi
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helle
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Beitrag von helle »

<habe ich geschrieben vor den letzten Beiträgen, lasse es aber jetzt dabei>

Mir erschließt sich das Gedicht auch nicht ohne weiteres, wenn man über die "gegensätzliche Zweiteiligkeit", also erst will er, dann will er nicht mehr, hinauswill. Z.B. : warum soll die "Schönheit" "überschattet" werden? Sollte die strahlende Geliebte geschützt werden und wovor – auch davor, nicht zu stark von anderen bemerkt zu werden? Und warum eigentlich "muttermatten"? Ist das eine irgendwie private Anspielung auf eine reale Person, die im Gedicht angesprochen wird? Oder ist nur das Lächeln "muttermatt"? Welche Funktion hätte hier die Alliteration? Schon in Str. 1 bleibt (mir) einiges unklar.

Dann tritt "etwas" ein, von dessen Ursache der Leser ebenfalls nichts Näheres erfährt, sondern nur von der Wirkung auf den Sprecher des Gedichts (das sage ich lieber als "Lyrisches Ich"), und diese Wirkung ist eine Revision des in Str. 1 Gesagten und Gewünschten, nämlich der Geliebten Garten sein zu wollen. Das wird zurückgenommen ohne nähere Erläuterung. Und nun komme ich an eine der Schwierigkeiten, die ich immer wieder mal mit Rilke habe, nicht nur, daß ich die beiden Schlußzeilen nicht gut verstehe (und mir die Logik manchmal vom Reimzwang diktiert scheint), sondern sie grenzen für mich auch ans unfreiwillig Komische – daß nämlich der Sprecher "zu den roten Beeten" gerufen wird, und zwar dann (immer dann?), wenn "du", also die angesprochene Dame des Herzens "aus den weißen [also den Beeten doch wohl]" winkt. Unter weißen Beeten kann man sich sicher eine Menge vorstellen, Lilien, Margeriten, weiße Rosen usw., aber die roten sind ja in ihrem Bedeutungsumfang ziemlich eingeschränkt. Oder denkt der Rußlandliebhaber Rilke hier nicht ans Gemüse, das ja u.a. Verwendung in der nahrhaften Borschtschsuppe findet? Ich will das ganze nicht ins Lächerliche ziehen (wie ist es eigentlich mit dem Sexismus des umarmenden Reims?), aber keiner der großen Dichter streift es so oft wie Rilke, findet jedenfalls
helle
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Rote Bete schreibt man mit einem e. (Zwei sind allerdings auch möglich.) Rote Beete sehe ich hier analog zu weißen Beete: Also mit roten Blumen bepflanzte Beete. Nach Russland ist er wohl erst später gekommen? Eine Alliteration ist ein Klangphänomen und muss m.E. keine andere Funktion haben als dem Gedicht einen Klang zu verleihen, der es von der Alltagssprache unterscheidet. Manchmal wirkt sie lautmalerisch: "Es weht der Wind im Winterwald..."
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Volker
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Kleine Korrektur

Beitrag von Volker »

Oha,
vor soviel Fachkompetenz wie in dieser Diskussion kann man ja nur in Ehrfurcht erstarren.
Aber wenn schon "Rote Bete", dann auch:
"Es teibt der Wind im Winterwalde..."
und nicht:
"Es weht der Wind im Winterwald..."
Gutes Neues Jahr und nichts für ungut.
Ich hab' auch Verstand.©
gez. Volker
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo,

das ist ein interessantes Gedicht, und ich bin selbst nach dem Lesen all Eurer Beiträge noch nicht sicher, wie ich es verstehen soll.
Ich frage mich, ob die Angebetete der ersten Strophe, die mit dem "muttermatten Lächeln", vielleicht tatsächlich die Mutter sein könnte?
Was meint Ihr?

---

Und nochmal zu diesem "Sexismus" mit männlichen und weiblichen (alphabetische Reihenfolge!) Reimen:

Ich hab von diesen Bezeichnungen noch nie was gehört, ist das wirklich so, daß gerade einsilbige Reime als männlich, zweisilbige dagegen als weiblich bezeichnet werden?
Also, das kommt mir schon deshalb in keiner Weise sexistisch vor, weil doch das gängige Vorurteil eher den Männern Einsilbigkeit unterstellt...


Lieben Gruß

stilz
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Beitrag von stilz »

P.S.:

Und auf "rote Bete" wär ich als Österreicherin natürlich gar nicht gekommen... aber wenn schon, denn schon: schließlich gäbe es ja auch weiße Rüben...
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Lieber Volker,
ich war mal wieder zu faul zum Nachsehen... :oops:
Liebe stilz,
ja, wieso eigentlich nicht? Die Mutter würde gut passen , auch biographisch, denke ich. Von der "weiß" verehrten Mutter zur "rot " begehrten Geliebten... Vielleicht weiß ja eineR unserer Biographie-KennerInnen mehr darüber?
Ja, das mit den Reimbezeichnungen stimmt so.
Liebe Grüße
gliwi
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Gast

Beitrag von Gast »

Man darf doch nie Verszeilen nie isoliert betrachten, vor allem, wenn man hungrig ist, sonst kommmt man nur auf dumme Gedanken. Wie heißt es doch so einladend in diesem Gedicht?
"das ruft mich zu den roten Beeten".
Brauchen wir jetzt noch einen Smiley als Ironiewarnsignal?
stilz
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Beitrag von stilz »

Lieber Gast (und bist Du auch jetzt wieder Harald?),

Ich hoffe nicht...

Aber wo doch auch helle darauf gekommen war, und ihren/seinen Beitrag sogar schon vorher geschrieben hatte...

Und wo mir besonders der Exkurs über den Borschtsch solches Vergnügen bereitet hatte...

Und schließlich: Wurzeln sind nun mal wichtig! Überhaupt, wo ich doch morgen zum Zahnarzt muß (und dort hoffentlich keine gezogen bekomme...)!

Also, ich finde, mit dieser Begründung wäre jetzt selbst Schopenhauer (mit seiner vierfachen Wurzel vom zureichenden Grunde) zufrieden!

Liebe Grüße

stilz
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