das ungewisse licht von nachmittagen ... ?

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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Gabi

das ungewisse licht von nachmittagen ... ?

Beitrag von Gabi »

Hallo,

wo finde ich ?

...Es spiegeln die verblichenen Tapeten
das ungewisse Licht von Nachmittagen,
in denen man sich fürchtete als Kind....

... und wovor "fürchtete" ?

Liebe Grüße von Gabi 8)
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Warum, liebe Gabi, gibst du das nicht unter "Suche" ein? Dann würdest du in Nullkommanix herausfinden, dass das Gedicht "Vor dem Sommerregen" heißt und hier unter Gedichten zu finden ist. Zu bequem? Zu ungeschickt? Und weder als Kind noch als Erwachsener braucht man notwendigerweise ein "Wovor", um sich zu fürchten, man kann sich einfach existentiell fürchten.
gliwi :wink:
Gabi

Beitrag von Gabi »

Hallo gliwi,

klar , ich hätte selbst suchen können, wenn mein PC dabei nicht abgestürzt wäre vor Hitze ... :wink: ...

und wegen dem "fürchten" denke ich weiter, dass es bei Sommerregen oft zuvor schwül ist und das Licht schwirrt vor Hitze . Vielleicht ist es auch die Angst des Kindes vor einem nahenden Gewitter, dunklen Wolken... ?

Sag mal, ist Dir bekannt, ob es für dieses Gedicht einen konkreten Anlass gab und wann und wo es entstanden ist ?

Danke und liebe Grüße von Gabi :lol:
helle
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Beitrag von helle »

Da würde ich Gliwi zustimmen und glaube nicht, daß das Gedicht einen konkreten Anlaß hatte und von einem konkreten Anlaß spricht, sondern daß es gerade das Unkonkrete, Allgemeine, "Ungewisse" der Furcht ist, das sich darin ausspricht. Man könnte zwar sagen, die Ruhe vor dem Sturm, jeder kennt das irgendwie wenn so ein Gewitter aufkommt, aber ich empfinde es eher umgekehrt. So, daß dieses klimatische Gefühl nur Anlaß ist, ein allgemeines Gefühl von Furcht, Bedrohung und Unheimlichkeit auszudrücken. Das "ihn" in Z. 3 verstehe ich als den Park (geht auch grammatisch nicht anders), und daß er "näher an die Fenster" rückt, verstehe ich so, daß nichts physikalisch Objektives, sondern eine subjektive Empfindung beschrieben wird. (Ebenso wie das Abrücken der Wände und Bilder, beides sind ja verzerrte Wahrnehmungen, ein bißchen wie im Horrorfilm). Was mich aber stört, ist der Hieronymus in Z. 6. Gemeint ist ja wohl der Kirchenvater, das mag ja noch angehen, auch wenn der Vergleich mit dem Regenpfeifer hinkt, aber daß er sich auf "Guß" reimt und man irgendwie nicht weiß, jedenfalls ging's mir so, wie man den "Hieronymus" betonen soll, auf ro oder ny oder gar auf mus und dann vom "Guß" wieder zurück blickt, ich finde, dabei geht der Rhythmus verloren.

H.
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Hallo Helle,
Schwierigkeiten mit dem Hieronymus könnten dadurch entstehen, dass du das e nicht als eigenständige Silbe liest. Das miusst du aber, dann kriegst du 5 Silben und es passt perfekt. Über Herkunft usw. habe ich keine Quellen, da muss man warten, bis e.u. Zeit und Lust hat, der weiß, wo man das alles findet und hat Zugang zu sämtlichen Uni-Bibliotheken.
Ja, das hast du gut gesagt mit der Furcht und Bedrohung, dem kann ich mich anschließen. Beim genaueren Lesen finde ich, das hat er mal wieder genial ausgedrückt, dieses unbestimmte Gefühl. Auch dieses Bild, dass etwas fortgenommen ist aus dem Park - das trifft es sehr genau. Ich kann mich gut in diese Stimmung hineinversetzen und die Kindheitserinnerung nachvollziehen.
Gruß
Christiane
Gast

Beitrag von Gast »

Ja, Christiane, kann ich eigentlich nur mit dem Kopf nicken, finde v.a. den EIngang und und die Schlußstrophe auch ziemlich genial. Kinder ahnen oder von mir aus wissen ja manchmal etwas, sagen wir: Atmosphärisches, was uns im Lauf des Erwachsenwerdens verlorengeht, weil wir alles zunehmend für gegeben oder selbstverständlich ansehen, wenn uns nicht v.a. die Dichter darauf aufmerksam machten, daß es nicht so ist. Sie haben wie die Kinder, Tiere, Liebenden, da wären wir wieder bei den Elegien, sozusagen den sechsten Sinn. Nur beim Hieronymus - Du hast Recht, man müßte das "i-e" getrennt sprechen, dann ginge alles auf, vielleicht liege ich auch falsch damit, aber ich finde, Gedichte, bei denen man eine Gebrauchsanweisung braucht, haben Schwächen.

Gruß H.
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Da musst du Rilke zugute halten, dass er davon ausging, wir wüssten, wie man Hieronymua ausspricht. Zu seiner Zeit konnten halt Leute, die für gebildet galten, Griechisch und Latein. Und mit anderen LeserInnen hat ein Lyriker damals nicht gerechnet, denke ich.
Gruß
Christiane
Arena
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Vor dem Sommerregen,

Beitrag von Arena »



Hallo, Gabi,

das Gedicht ist in Paris entstanden, Anfang Juli 1906. Es steht im ersten Teil der "Neuen Gedichte" nahe bei denen, die an Rilkes Sommeraufenthalt in Friedelhausen bei Marburg erinnern, wo er 1905 zu Gast bei Gräfin Luise von Schwerin war. Vielleicht sieht er den dortigen Park vor sich ?

Guten Abend! Renée (Arena)
Barbara
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Beitrag von Barbara »

Hallo Renèe, hallo Gabi,

in der KA I, S. 943 habe ich folgendes zum Entstehungsanlass gefunden:

Am 31.5. 1906 besuchte Rilke an einem regenverhangenen Tag das Schloß Chantilly mit Park und Bildersaal. An Clara Rilke schreibt er dazu am 1.6. 1906: "Wir haben gestern diesen (heutigen) Regen sich vorbereiten sehen draußen auf dem Land, in Buchengängen, über weiten Wiesen und Wasserflächen, in den Fenstern eines alten Schlosses."

Liebe Grüße von Barbara :lol:
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