Rilke Projekt III: Text über Selbstmörder in Paris

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Teresa

Rilke Projekt III: Text über Selbstmörder in Paris

Beitrag von Teresa »

Beim Rilke Projekt III wird ein kurzer Prosatext gelesen, wo Rilke von einer Seine-Brücke aus die Bergung eines Selbstmörders beobachtet und darüber mit einem Kutschfahrer spricht. Wo kann ich diesen Text finden?
Gast

Beitrag von Gast »

Vielleicht hilft das weiter:

Das Wetter ist trübe, so wie man es von einem Dezember erwartet. Das Wetter machte auch in Nevers keine Ausnahme. Die Leute eilen durch die Straßen, um zügig nach Hause zu kommen, die Gedanken vielleicht schon beim bevorstehenden Weihnachtsfest oder bei der warmen Wohnung. Eine alte Frau schaut aus dem Fenster, in den Hauseingang, in den sich ein Pärchen gedrückt hat, um miteinander zu knutschen. Das junge Paar nutzt diese Gelegenheit, nicht nur um sich vor der Kälte zu schützen, sondern auch vor den Blicken des Vaters des Mädchens. Er zögert den Moment der Trennung heraus, bis darauf drängt, nach Hause zu gehen, damit es nicht auffallen würde. Beiden ist klar, dass die Eltern des Mädchens wissen, wie lang sie vom Klavierunterricht bis nach Hause brauchen würde.

In diese trübe Wetter passt eine Erfahrung, die der junge Mann kurze Zeit später machen durfte: der Vater steht schon am Fenster bereit und droht dem jungen Mann mit einem Gewehr. Es ist nicht anzunehmen, dass Monsieur Grandvalet wirklich mit dem Gedanken spielte, abzudrücken, es war nichts anderes, als eine Machtdemonstration. Allerdings eine, die der Monsieur bald bereuen durfte. Émile war nicht der Junge der Art, der solche Erniedrigungen erdulden dürfte. Er betrinkt sich in der Stadt, mancher hätte gesagt, er hat sich Mut angetrunken, ging dann zu einer Tankstelle, in der er sich Benzin besorgte und machte sich dann zum Haus der Grandvalets auf. Schwer zu sagen, was für Gedanken er hatte, denn zum einen ist es kein Kavaliersdelikt, das Haus von anderen Leuten anzuzünden, und zum anderen – was die Sache noch ein wenig Abwegiger erscheinen lässt – gefährdet er seine Freundin unnötig, die ja ebenfalls in diesem Haus lebt.

Die Spuren führen sehr schnell zu ihm, die Polizei kann schnell eins und eins zusammenzählen, zumal Monsieur Grandvalet nicht verschweigt, was für eine Schmach er dem jungen Émile angetan hat. Selbst das kann die öffentliche Meinung über den jungen Mann milder stimmen: er gilt als Schuft und wird gejagt. Émile hatte sich schon nach Paris davon gemacht, wo er die Tage damit verbringt zu überleben, sich dabei aber weniger auf Arbeit konzentriert, sondern den einfachen Weg wählt, alten Frauen die Handtaschen zu rauben. Keiner kann sagen, dass man dafür sonderlich viel Geschick benötigt.

Émile hat nur ein Ziel: ein wenig Geld beschaffen, dass er Juliette Grandvalet nach Paris holen kann. Als Tarnung lässt er sich einen Bart wachsen, kleidet sich ein – so dass ihn bei der Heimkehr in die Stadt nur wenige erkennen. Er schafft es, seiner Freundin, die nun den Klavierunterricht in Begleitung ihrer Mutter besucht, einen Zettel zuzustecken, auf der er die bevorstehende gemeinsame Flucht und um ein Treffen bittet. Er versucht es im Geheimen, kann aber nicht verhindern, dass Gerüchte über seine Wiederkehr in die Stadt die Runde machen, und er kann es nicht verhindern, dass diese Gerüchte bei dem Vater von Juliette landen, der daraufhin versucht weitere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Juliette ihrerseits hat zu dem Zeitpunkt schon eine Entscheidung getroffen. Sie mochte nicht mehr wohlbehütet im Hause ihres Vaters leben, und entschloss sich zur Flucht mit Émile. Der hatte zwei Fahrkarten nach Paris besorgt und so begann für beide ein neues Leben. Gemeinsam.
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