Lieber Vito,
nun hast Du wirklich lange genug „gezappelt“... selbstverständlich lasse ich Dich so schnell wie möglich FREI!!! --- und lege obendrein Wert auf die Feststellung, daß ja nicht ich, sondern Du selber Dich „gefangen“ hast.
Es ist natürlich vollkommen in Ordnung, seine Meinung zu ändern und in jedem Jahr anders über ein Thema zu denken.
Aber ich bin nicht sicher, ob Du das in diesem Fall wirklich willst.
Ich habe weiter oben die „Idee“ eines Kunstwerkes mit einem Samen verglichen, und die Frage gestellt, ob ein solcher Same denn überhaupt „falsch“ sein kann.
Worauf ich hinaus will, das ist der Unterschied zwischen den deutschen Begriffen „Wahrheit“ und „Wirklichkeit“ - im Englischen also „truth“ und ... hier tu ich mir schwer, es scheint den Begriff „Wirklichkeit“ im Englischen nicht zu geben („reality“ trifft keineswegs, was ich meine!) ---
I mean: everything that is so much „there“ that it is due to „work“, to „function“ in some way, to „give rise“ to other things, creating more „causes“...
I don’t like the word „effect“ here, as „to be effective“ in my mind is connected to „utility“. And „wirken“ need not be „utilitaristic“ at all!
Aber ich sehe, Du hast selbst längst ausgesprochen, was ich meine:
Ja.vivic hat geschrieben:Ich verstehe es nicht ganz. Aber ich benutze es, ich wende es an, es spricht zu mir, ich erlebe es. Und es tut mir gut. Jeden Tag lese ich es. Vielleicht ist das eine Projektion, wie die Psychiater sagen wuerden, aber ich stelle mir vor, dass ich selber das alles gut kenne, ich kenne dieses Starre, dieses Verhaengnis, habe auch schon da gewohnt, und Rilke giebt mir hier seine Unterstuetzung, er giebt mir den Zauberspruch den ich brauche.
in solcher Weise kann "magische" Poesie eine tatsaechliche Wirkung haben in der wirklichen Welt.
Das ist es, was ich unter „Wirk-lichkeit“ verstehe.
Ein Freund hat mich vor kurzem auf drei Zeilen von Walt Whitman aufmerksam gemacht, aus seinem Song of Myself:
- Do I contradict myself?
Very well then I contradict myself,
(I am large, I contain multitudes.)
Ja.
Wir alle „enthalten“ ja nicht nur unser Denken, sondern auch unser Fühlen, und sogar auch noch unser Wollen.
Und wenn die drei einander widersprechen (zum Beispiel indem mein Denken die „Idee“ eines Gedichtes „falsch“ findet, mein Fühlen sich aber dennoch zu diesem Gedicht „hingezogen fühlt“) - dann suche ich den Widerspruch zunächst nicht dort draußen im Kunstwerk, sondern drinnen in mir.
Denn ich habe den Eindruck, wenn unser Denken etwas für „falsch“ hält, wozu unser Fühlen sich dennoch hingezogen fühlt, und womit unser Wollen uns daher „umgehen“ läßt --- dann haben wir entweder in unserem Denken oder in unserem Fühlen und Wollen den betreffenden Gegenstand bzw das betreffende Kunstwerk noch nicht vollständig erkannt.
Ich bin mir natürlich dessen bewußt, daß es sehr schwierig sein kann, zu beurteilen, ob nun unser Denken „recht hat“ oder unser Fühlen oder Wollen...
Denn so wie es möglich ist, daß mein Empfinden Dinge erkennt, die sich meinem Denken (noch) nicht erschließen, so ist es auch möglich, daß mein mir nicht vollständig bewußtes Empfinden mich in die Irre leitet, obwohl mein Denken längst klarer sieht...
Ich vermute, daß Dich gerade diese Schwierigkeit Deine Frage stellen ließ, inwieweit die „Wahrheit der Ideen“ den „Wert“ eines Gedichtes bestimmt. Irre ich mich?
Ich hoffe sehr, Du fühlst Dich nun nicht mehr gefangen!
Herzlichen Gruß,
Ingrid