ich habe eben gerade in einem Buch über die Aborigines geblättert, weil ich für den Beitrag unter „Rilke und Bach“ etwas gesucht hatte und bin auf folgendes gestoßen (rein zufällig):
„Als Synästhesie wird das gleichzeitige Erleben von Sinneseindrücken verschiedener Sinnenbereiche bei Reizung von nur einem Sinnesorgan bezeichnet. So kann zum Beispiel eine bestimmte Farbe ein bestimmtes Hörerlebnis auslösen (...). Ein besonders hoher Grad an Synästhesie, läßt sich in vielen großen Dichtungen finden (...). Besonders oft finden sich synästhetische Verbindungen bei Rainer Maria Rilke:
Schon ist mein Blick am Hügel, dem besonnten,
dem Wege, den ich kaum begann, voran.
So faßt uns das, was wir nicht fassen konnten,
voller Erscheinung, aus der Ferne an – (...)“
Ausgerechnet in diesem Buch (Robert Lawlor, Am Anfang war der Traum) hätte ich nicht unbedingt mit einem Rilke-Zitat gerechnet!
Es gibt m.E. aber noch eindrucksvollere Beispiele für Rilkes synästhetische Wahrnehmung als in diesem späten Gedicht (ich glaube ca. 1924?!):
Nicht erfaßt es sein Blick, im Frühtod
schwindelnd. Aber ihr Schaun,
hinter dem Pschent-Rand hervor, scheucht es die Eule. Und sie,
streifend im langsamen Abstrich die Wange entlang,
jene der reifesten Rundung,
zeichnet weich in das neue
Totengehör, über ein doppelt
Aufgeschlagenes Blatt, den unbeschreiblichen Umriß.
(Duineser Elegien, Zehnte Elegie)
Hier verarbeitet Rilke zudem nachweislich ein Erlebnis seiner Ägyptenreise von 1911.
Zweites Beispiel aus Die Sonette an Orpheus, direkt zu Beginn:
Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!
O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!
Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung
Ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.
Ich finde, in diesen beiden Beispielen kommt das emotionale und ergreifende Erleben, das durch dieses nicht alltägliche Wahrnehmungsphänomen ausgelöst wird, besser zur Geltung als in dem eher melancholischen Spätgedicht. Vielleicht findet jemand noch bessere Beispiele?!
Viele Grüße
