wir hatten kürzlich einen Beitrag über Rilke und Claire Goll (finde ihn leider nicht, deswegen neues Thema). Der Tenor der Beiträge lief (etwas überspitzt) auf die Aussage hinaus: Der böse Rilke ( oberflächlich, verführt, schwängert, lässt die Frauen fallen...) und die armen Frauen (lieben aufrichtig, vertrauen, werden missbraucht und enttäuscht). Bevor ich meinen eigenen Senf dazu gebe, hier ein paar Zitate der Biographen zu diesem Thema:
Eine der Frauen, die Rilke damals kennenlernte, war(...) Claire Studer, die Mitte 1918 nach München kam und Rilke (...) bei dieser Gelegenheit (das Wort ist mit bedacht gewählt) vernaschte. (Wolfgang Leppmann, Rilke, Piper-Verlag)
Claire (von Rilke auch Liliane genannt) war nach einer gescheiterten Ehe bereits mit ihrem späteren Ehemann Iwan Goll befreundet und ließ sich durchaus nicht blauäugig mit dem verheirateten Rilke ein!
Ähnlich drastisch sind Ralph Freedmans Aussagen. Claire flüchtete vor den Heiratsforderungen I. Golls nach München:
Dort angekommen, ging sie rasch und zielstrebig auf Rilke zu, den etablierten Dichter (...).Die ungenierte junge Dichterin war in der Absicht nach München gekommen, Rilke zu umgarnen; er war „Zweck und Ziel“ ihrer Reise. (...) Rilke schrieb immer leidenschaftlichere Briefe an Liliane. Diese will, als er ihr gesagt habe, man brauche vier Tage, um sich auf eine Liebesnacht vorzubereiten, den Beschluß gefaßt haben, zu ihm zu ziehen, um das ganze abzukürzen.
An anderer Stelle bezeichnet Freedman Claire als „dunkle Nymphe“ und stellt auch die angeblich erzwungene Abtreibung in Frage. Rilke hatte, so der Biograph, bis zu seinem Tod noch ein „herzliches Verhältnis“ zu Claire und Iwan:
Der Briefwechsel zwischen Rainer und Claire läßt von einer solchen Tragödie – sieht man von fehlenden Briefen und Passagen ab – kaum etwas ahnen.
Vielleicht sollte man auch erwähnen, dass Rilke nicht gerade das „Heimchen“ von Herd und Kindern wegangelte, sondern meist mit Künstlerkolleginnen Affären hatte: von Lou über Rilkes Frau Clara, Magda v. Hattingberg, Hedwig Bernhard, die Duse, Lulu, Baladine und eben auch Claire (um nur einige zu nennen) handelt es sich durchweg um Frauen, die sich für die damalige Zeit bereits einen sehr „modernen“ bis freizügigen Lebensstil gönnten und durchaus die Konsequenzen einer Affäre mit einem verheirateten Mann absehen und tragen konnten! Bei einigen (vielleicht Claire ganz besonders) kann man eher den naiven Rilke bedauern, der die Raffinesse einiger Partnerinnen nicht durchschaute: will „Sternchen“ heutzutage in die Schlagzeilen kommen, muss sie mit den Bohlens unserer Zeit in die Kiste springen und anschließend groß und in allen Details (wie Claire) die Öffentlichkeit davon unterrichten – damals gab es ja zum Glück Rilke!
Gruß
