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Zitat gesucht

Verfasst: 4. Jul 2005, 11:26
von Gast
Hallo,

"Kunst ist Kindheit..." - sagt Rainer Maria Rilke . Wo finde ich bei ihm dieses Zitat ?

Elfriede :lol:

Verfasst: 20. Jul 2005, 23:05
von aeroos
Kunst ist Kindheit nämlich. Kunst heißt, nicht wissen, daß die Welt schon ist, und eine machen. Nicht zerstören, was man vorfindet, sondern einfach nichts Fertiges finden.
Lauter Möglichkeiten. Lauter Wünsche
Hallo

Leider kenne ich den Titel nicht.
Gefunden unter;
http://www.abyssal.de/anthologie/kindergarten.htm

Angelo

Verfasst: 21. Jul 2005, 12:28
von Elfriede
Hallo,

vielen Dank - und wo finde ich die genaue Quelle bei Rilke ?

Elfriede :lol:

Verfasst: 22. Jul 2005, 16:12
von aeroos
Hallo Elfriede

Leider kenne ich die Quelle nicht.
Aber hast Du es auf dieser Homepage versucht?
Vielleicht kennt der Ersteller sie.

Viel Glück

Angelo

Kunst ist Kindheit

Verfasst: 9. Sep 2005, 13:37
von Abyssal
Hallo an alle Rilke-Fans,

Ich hab den Thread hier gerade erst entdeckt und hoffe, dass die Antwort vielleicht noch von Interesse ist. Das genannte Zitat von Rilke entstammt dem 2. Teil seiner Aufsatzfolge "Über Kunst":

"Die Kindheit ist das Reich der großen Gerechtigkeit und der tiefen Liebe. Kein Ding ist wichtiger als ein anderes in den Händen des Kindes. Es spielt mit einer goldenen Brosche oder mit einer weißen Wiesenblume. Es wird in der Ermüdung beide gleich achtlos fallen lassen und vergessen ... Es hat nicht die Angst des Verlustes. Die Welt ist ihm noch die schöne Schale, darin nichts verloren geht. Und es empfindet als sein Eigentum Alles, was es einmal gesehen, gefühlt oder gehört hat. Alles, was ihm einmal begegnet ist. Es zwingt die Dinge nicht, sich anzusiedeln.
Eine Schar dunkler Nomaden wandern sie durch seine heiligen Hände wie durch ein Triumphtor. Werden eine Weile licht in seiner Liebe und verdämmern wieder dahinter; aber sie müssen Alle durch diese Liebe hindurch. Und was einmal in der Liebe aufleuchtete, das bleibt darin im Bilde und läßt sich nie mehr verlieren. Und das Bild ist Besitz. Darum sind Kinder so reich. Ihr Reichtum ist freilich rohes Gold, nicht übliche Münze. Und er scheint immer mehr an Wert einzubüßen, je mehr Macht die Erziehung gewinnt, die die ersten unwillkürlichen und ganz individuellen Eindrücke durch überkommene und historisch entwickelte Begriffe ersetzt und die Dinge, der Tradition gemäß, zu wertvollen und unbedeutenden, erstrebenswerten und gleichgiltigen stempelt. Das ist die Zeit der Entscheidung. Entweder es bleibt jene Fülle der Bilder unberührt hinter dem Eindrängen der neuen Erkenntnisse, oder die alte Liebe versinkt wie eine sterbende Stadt in dem Aschenregen dieser unerwarteten Vulkane. Entweder das Neue wird der Wall, der ein Stück Kindsein umschirmt, oder es wird die Flut, die es rücksichtslos vernichtet. Das heißt das Kind wird entweder älter und verständiger im bürgerlichen Sinn, als Keim eines brauchbaren Staatsbürgers, es tritt in den Orden seiner Zeit ein und empfängt ihre Weihen, oder es reift einfach ruhig weiter von tiefinnen, aus seinem eigensten Kindsein heraus, und das bedeutet, es wird Mensch im Geiste aller Zeiten: Künstler.
In diesen Tiefen und nicht in den Tagen und Erfahrungen der Schule verbreiten sich die Wurzeln des wahren Künstlertums. Sie wohnen in dieser wärmeren Erde, in der niegestörten Stille dunkler Entwicklungen, die nichts wissen von dem Maß der Zeit.
Kunst ist Kindheit - Kunst heißt, nicht wissen, dass die Welt schon ist, und eine machen. Nicht zerstören, was man vorfindet, sondern einfach nichts Fertiges finden. Lauter Möglichkeiten. Lauter Wünsche. Und plötzlich Erfüllung sein, Sommer sein, Sonne haben. Ohne dass man darüber spricht, unwillkürlich. Niemals vollenden. Niemals den siebenten Tag haben. Niemals sehen, dass alles gut ist. Unzufriedenheit ist Jugend. Gott war zu alt am Anfang, glaub ich. Sonst hätt er nicht aufgehört am Abend des sechsten Tages. Und nicht am tausendsten Tag. Heute noch nicht. Das ist aller Grund, den ich gegen ihn habe - dass er kein Künstler war, das ist so traurig. Das er doch kein Künstler war."

Rainer Maria Rilke, Über Kunst, in Verse und Prosa, aus dem Nachlass (Lepizig, 1929) zitiert in George Boas, The Cult of Childhood (London: The Warburg Institute, 1966), pp. 77-8