Rilke-Aufsatz in der Website
Verfasst: 16. Apr 2003, 01:12
Hallo,
vielleicht habt ihr schon mal in die Website zu Rilke von Stefan Schank rein geschaut, da findet sich seit kurzem ein Aufsatz von Gísli Magnússon über Rilkes 9. Elegie. (34 Seiten lang, für die Faulen 3 Seiten Zusammenfassung).
Titel: Interpretation der 9. Elegie im Licht jüdischer Gnosis.
Das Thema an sich finde ich sehr inspirierend, nicht jedoch die Art und Weise, wie es dargestellt ist. Von literaturwissenschaftlicher Sprachakrobatik und dem üblichen Wust an Querverweisen auf ergänzende Literatur mal abgesehen, ist es die philologisch-akademische Zerstückelungsprozedur, die in ihrer Ausschließlichkeit die Dichtung regelrecht vergewaltigt.
Warum sucht sich jemand ausgerechnet die 9. Elegie als Forschungsgegenstand aus?
In ihr geht es um die Rettung der „Dinge“ durch menschliches Fühlen, Sagen und Verinnerlichen. In diesem Verinnerlichen ist aber auch die Distanz zwischen dem Ich und den Dingen, die die Ratio mit ihren Rastern erzeugt, verwandelt (nicht einfach nur aufgehoben). Es ist eine VIELHEIT in der EINHEIT (und kein ununterschiedenes ALL-EINS-SEIN). Rilke macht den Dichter zwar zum Vorreiter durch dessen größere Sensibilität gegenüber dem Unsichtbaren und der Fähigkeit es auszuSAGEN, aber es ist dennoch ein Weckruf, der an alle Menschen gerichtet ist und sie an ihre immanente Macht erinnert, Mitschöpfer im Transformationsprozess sein zu können.
Diese Elegie ist durch und durch metaphysisch, was M. auch entsprechend belegt (vor allem durch den Bezug zu Kabbala und Gnosis). Es macht mich allerdings sehr betroffen, wenn dieser Dichtung durch eine Wissenschaftsmethodik das Leben entzogen wird, die sich seit der Aufklärung kaum weiter entwickelt hat und die Distanz braucht, um erkennen zu können. Daran ist nichts Falsches, aber es ist unvollständig. Nein, es ist noch nicht einmal so sehr die Vorgehensweise als vielmehr die Motivation, die sich hinter der Systematik und den formalen Strukturen versteckt. Ich behaupte, dass diese Motivation, mit der an die Elegien (nicht nur von M.) heran gegangen wird, keineswegs auf pure Sachlichkeit gründet, wie das die Methode impliziert. Es gibt m.E. emotionale Widerstände gegen die WIRKlichkeit, die aus der Dichtung spricht und so wird sie zum leblosen Gegenstand der Forschung degradiert – und das wurmt mich!
Die Elegien mit diesen (alten) Denkstrukturen be-LEUCHTEN zu wollen, ist der Versuch, mit einem Streichholz eine Glühbirne anzuzünden. Etwas im Innern weiß, dass das nicht geht und nimmt es aber als Legitimation, um die Leuchtfähigkeit der Glühbirne anzuzweifeln.
Oder die besonders trickreiche Variante des menschlichen Geistes (im Sinne von „mind“, nicht „spirit“!): In der 1. Std. eines Psychologieseminars, das alternative Therapiemethoden zum Thema hatte, sagte der Prof. einleitend: „Ich stehe diesem Thema sehr offen gegenüber,“ und fügte mit verkniffenen Augen hinzu „man muss seine Feinde ja schließlich kennen!“
Ich glaube, das macht das Problem ausreichend deutlich.
Das Thema ist also mystische Verinnerlichung der Dinge und die Methode heißt ich-halte-mir-die-Dinge-besser-vom-Hals! Das kann nichts werden!
Dass Rilke durchaus nicht wertfrei als „Sprachmagier“, „Prophet“ und einem religiösen Auftrag folgend dargestellt wird, damit kann ich leben – das gehört eben zur Methodik (und zur Verdrängung). Was mich weitaus mehr stört, ist die philologische Kausalitätsforschung: Rilke hat DAS 1908 in einem Buch gelesen und DIES 1922 in den Elegien verarbeitet (lest euch dazu mal das letzte Kapitel des Aufsatzes über die Apperzeptionstheorie durch). Wer auch nur ein wenig Resonanz im Herzen beim Lesen von Rilkes Werken verspürt, der kann vielleicht auch die lineare Zeitvorstellung der abendländischen Tradition hinter sich lassen:
Was, wenn die Ursächlichkeit umgekehrt ist? Kennt ihr diese Bibelstelle, in der es um das „himmlische Jerusalem“ geht, das lange vor dem irdischen bestand? Ich bin leider absoluter Bibel- Dilettant, sonst würde ich euch die genaue Stelle nennen (vielleicht hilft ja jemand!?)
Hat Rilke möglicherweise dieses Werk (ich bleibe bei den Elegien) von Anbeginn an mit auf den Weg bekommen? Gut verpackt und mit dem Auftrag, dieses Paket im Laufe seines Lebens zu öffnen und ihm als Dichtung einen Platz in der irdischen Wirklichkeit einzuräumen? Was, wenn DAS die eigentliche Ursache für alle Erfahrungen, Begegnungen, Bücher, die er las, war?, um sich seiner Bestimmung zu erinnern. Sind nicht vielmehr die mystischen Traditionen, ebenso wie die Elegien aus ein und derselben QUELLE?
Ihr könnt euch ja selbst einfühlen, welcher Ansatz euch näher liegt. Das, was ich im letzten Absatz geschrieben habe, sind innere Bilder, die ich vor einigen Jahren so gesehen habe, aber dieses Sehen ist auch sehr subjektiv, das ist mir schon klar.
Magnússon schreibt: „Rilke war ein selektiver Leser, der nur das aufnahm, was ihm entsprach“. Ich würde es gern ergänzen durch: „Es ist schöner und lebendiger, sein Werk ebenso zu lesen; immer das hervor zu holen, was der inneren Stimmung gerade entspricht und etwas zum Klingen bringt, anstatt es mit mentaler Systematisierungswut zum Schweigen zu bringen.“
Dafür, dass ich eigentlich nur zum Fühlen ermutigen wollte und zum sich-nicht-erschlagen-lassen von Wissenschaftlichkeit, habe ich wieder viel Anlauf gebraucht. „In der Kürze liegt die Würze“ scheint nicht gerade mein Lebensmotto zu sein!
Liebe Grüße
vielleicht habt ihr schon mal in die Website zu Rilke von Stefan Schank rein geschaut, da findet sich seit kurzem ein Aufsatz von Gísli Magnússon über Rilkes 9. Elegie. (34 Seiten lang, für die Faulen 3 Seiten Zusammenfassung).
Titel: Interpretation der 9. Elegie im Licht jüdischer Gnosis.
Das Thema an sich finde ich sehr inspirierend, nicht jedoch die Art und Weise, wie es dargestellt ist. Von literaturwissenschaftlicher Sprachakrobatik und dem üblichen Wust an Querverweisen auf ergänzende Literatur mal abgesehen, ist es die philologisch-akademische Zerstückelungsprozedur, die in ihrer Ausschließlichkeit die Dichtung regelrecht vergewaltigt.
Warum sucht sich jemand ausgerechnet die 9. Elegie als Forschungsgegenstand aus?
In ihr geht es um die Rettung der „Dinge“ durch menschliches Fühlen, Sagen und Verinnerlichen. In diesem Verinnerlichen ist aber auch die Distanz zwischen dem Ich und den Dingen, die die Ratio mit ihren Rastern erzeugt, verwandelt (nicht einfach nur aufgehoben). Es ist eine VIELHEIT in der EINHEIT (und kein ununterschiedenes ALL-EINS-SEIN). Rilke macht den Dichter zwar zum Vorreiter durch dessen größere Sensibilität gegenüber dem Unsichtbaren und der Fähigkeit es auszuSAGEN, aber es ist dennoch ein Weckruf, der an alle Menschen gerichtet ist und sie an ihre immanente Macht erinnert, Mitschöpfer im Transformationsprozess sein zu können.
Diese Elegie ist durch und durch metaphysisch, was M. auch entsprechend belegt (vor allem durch den Bezug zu Kabbala und Gnosis). Es macht mich allerdings sehr betroffen, wenn dieser Dichtung durch eine Wissenschaftsmethodik das Leben entzogen wird, die sich seit der Aufklärung kaum weiter entwickelt hat und die Distanz braucht, um erkennen zu können. Daran ist nichts Falsches, aber es ist unvollständig. Nein, es ist noch nicht einmal so sehr die Vorgehensweise als vielmehr die Motivation, die sich hinter der Systematik und den formalen Strukturen versteckt. Ich behaupte, dass diese Motivation, mit der an die Elegien (nicht nur von M.) heran gegangen wird, keineswegs auf pure Sachlichkeit gründet, wie das die Methode impliziert. Es gibt m.E. emotionale Widerstände gegen die WIRKlichkeit, die aus der Dichtung spricht und so wird sie zum leblosen Gegenstand der Forschung degradiert – und das wurmt mich!
Die Elegien mit diesen (alten) Denkstrukturen be-LEUCHTEN zu wollen, ist der Versuch, mit einem Streichholz eine Glühbirne anzuzünden. Etwas im Innern weiß, dass das nicht geht und nimmt es aber als Legitimation, um die Leuchtfähigkeit der Glühbirne anzuzweifeln.
Oder die besonders trickreiche Variante des menschlichen Geistes (im Sinne von „mind“, nicht „spirit“!): In der 1. Std. eines Psychologieseminars, das alternative Therapiemethoden zum Thema hatte, sagte der Prof. einleitend: „Ich stehe diesem Thema sehr offen gegenüber,“ und fügte mit verkniffenen Augen hinzu „man muss seine Feinde ja schließlich kennen!“
Ich glaube, das macht das Problem ausreichend deutlich.
Das Thema ist also mystische Verinnerlichung der Dinge und die Methode heißt ich-halte-mir-die-Dinge-besser-vom-Hals! Das kann nichts werden!
Dass Rilke durchaus nicht wertfrei als „Sprachmagier“, „Prophet“ und einem religiösen Auftrag folgend dargestellt wird, damit kann ich leben – das gehört eben zur Methodik (und zur Verdrängung). Was mich weitaus mehr stört, ist die philologische Kausalitätsforschung: Rilke hat DAS 1908 in einem Buch gelesen und DIES 1922 in den Elegien verarbeitet (lest euch dazu mal das letzte Kapitel des Aufsatzes über die Apperzeptionstheorie durch). Wer auch nur ein wenig Resonanz im Herzen beim Lesen von Rilkes Werken verspürt, der kann vielleicht auch die lineare Zeitvorstellung der abendländischen Tradition hinter sich lassen:
Was, wenn die Ursächlichkeit umgekehrt ist? Kennt ihr diese Bibelstelle, in der es um das „himmlische Jerusalem“ geht, das lange vor dem irdischen bestand? Ich bin leider absoluter Bibel- Dilettant, sonst würde ich euch die genaue Stelle nennen (vielleicht hilft ja jemand!?)
Hat Rilke möglicherweise dieses Werk (ich bleibe bei den Elegien) von Anbeginn an mit auf den Weg bekommen? Gut verpackt und mit dem Auftrag, dieses Paket im Laufe seines Lebens zu öffnen und ihm als Dichtung einen Platz in der irdischen Wirklichkeit einzuräumen? Was, wenn DAS die eigentliche Ursache für alle Erfahrungen, Begegnungen, Bücher, die er las, war?, um sich seiner Bestimmung zu erinnern. Sind nicht vielmehr die mystischen Traditionen, ebenso wie die Elegien aus ein und derselben QUELLE?
Ihr könnt euch ja selbst einfühlen, welcher Ansatz euch näher liegt. Das, was ich im letzten Absatz geschrieben habe, sind innere Bilder, die ich vor einigen Jahren so gesehen habe, aber dieses Sehen ist auch sehr subjektiv, das ist mir schon klar.
Magnússon schreibt: „Rilke war ein selektiver Leser, der nur das aufnahm, was ihm entsprach“. Ich würde es gern ergänzen durch: „Es ist schöner und lebendiger, sein Werk ebenso zu lesen; immer das hervor zu holen, was der inneren Stimmung gerade entspricht und etwas zum Klingen bringt, anstatt es mit mentaler Systematisierungswut zum Schweigen zu bringen.“
Dafür, dass ich eigentlich nur zum Fühlen ermutigen wollte und zum sich-nicht-erschlagen-lassen von Wissenschaftlichkeit, habe ich wieder viel Anlauf gebraucht. „In der Kürze liegt die Würze“ scheint nicht gerade mein Lebensmotto zu sein!
Liebe Grüße