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Quai du Rosaire

Verfasst: 15. Jul 2004, 20:19
von Anita
Hallo,

ich versuche gerade das Gedicht "Quai du Rosaire.Brügge" von R.M. Rilke zu verstehen. Ich finde es herrlich, wie hier die Gassen beschrieben werden. Es ist fast wie auf einem Bild , das Rilke gemalt hat. Aber einige Fragen habe ich auch zu dem Gedicht. Vielleicht können Sie mir helfen?

Was bedeutet "Rosaire"?

Was ist damit gemeint: "Verging nicht diese Stadt?"

Was und wo sind "Gärten" in Brügge, die in diesem Gedicht gemeint sein könnten?

Und : wieso wird das "Glockenspiel" - des Belfried ? - mit einer "Traube" bzw mit "Beeren" verglichen ?

Leider war ich noch nie in Brügge, sonst könnte ich es vielleicht besser verstehen. Vielleicht war von Ihnen schon einmal jemand dort ?

Ich würde mich auf jeden Falll sehr über Antworten freuen.

Anita :lol:

Verfasst: 16. Jul 2004, 07:05
von Barbara
Hallo Anita,

mir gefällt dieses Gedicht auch sehr. Wir werden es heute abend hier im Literaturkreis in Stuttgart lesen und darüber sprechen.

Zunächst so viel als Antwort:

"Rosaire" bedeutet genau übersetzt "Rosenkranz". Es kann auch sein, dass es sich auf die aneinandergereihte Kette von Häusern - am Quai - bezieht.
Auch zu den weiteren Fragen - besonders der zweiten - werde ich später noch schreiben. Erst gestern habe ich etwas dazu in einem kunsthistorischen Buch über Flandern gelesen. Mal sehen, vielleicht finden wir heute abend auch noch interessante Aspekte dazu. Sicher kann auch jemand anderes hier im Forum noch etwas dazu schreiben ! In Brügge war ich leider bisher auch noch nicht.

Bis bald und viele Grüße von Barbara :lol:

Verfasst: 17. Jul 2004, 13:09
von Paula
Hallo,

ich habe gerade gelesen, dass der belgische Fin-de-siecle Autor Georges Rodenbach (1855-1902) eine bekannte Erzählung ""Burges-la-morte", "Das tote Brügge", geschrieben hat. Darin dämmert die Metropole Westflanderns im fahlen Licht der decadence: "Ein Hauch des Todes wehte ihn von den geschlossenen Häusern an, deren Scheiben wie im Tode gebrochene Augen starrten, von den Giebeln, deren getreppte Absätze das Wasser schwarz widerspiegelte." Kann es sein, dass auch R.M. Rilke etwas Ähnliches meinte mit "Verging nicht diese Stadt?" ?

Viele Grüße von Paula :lol:

Verfasst: 17. Jul 2004, 13:28
von e.u.
Genau das ist der Fall. Rilke hatte natürlich Rodenbachs Buch gelesen, bevor er im Sommer 1906 nach Brügge gefahren ist. Allerdings war er nicht ganz damit einverstanden, wie Brügge dann als 'tote Stadt' von den Besuchern im Schlepptau der Rodenbach-Lektüre interpretiert wurde. Dort spiegelt die Stadt den Seelenzustand der Hauptfigur wider.
Das 'Sterben' der Weltstadt des 14.Jahrhunderts hat ganz nüchterne Gründen. Der Hafen (und die Küste) sind versandet, Antwerpen hat den Handel abgezogen, und die flandrische Hanse hat sich aufgelöst, die religiösen Streitigkeiten im 16.Jahrhundert besorgten den Rest. Die einst 200.000 Einwohner gingen auf etwa 54.000 um 1900 zurück. Das hatte aber den Vorteil, dass die Bauten bis Ende des 19.Jahrhunderts innerhalb der alten Mauern erhalten blieben. Aber da hatten schon die Künstler (Khnopff) die Stadt als Kultobjekt entdeckt. Und natürlich war vor Rilke schon Heinrich Vogeler da und schrieb an das frische Paar in Worpswede eine schöne Ansichtskarte.
Brügge 'wartete' darauf, entdeckt zu werden.
e.u.

Verfasst: 17. Jul 2004, 14:07
von e.u.
Noch eine Sache, die ich vergessen habe. Rilke hat zum Thema Brügge und Rodenbach in seinem Aufsatz 'Furnes' geschrieben:
"Brügge übertrifft nichts; es enttäuscht die meisten. Seine Zurückhaltung ist es, die ihm den Ruf des ›toten Brügge‹ eingetragen hat, und man begnügt sich, sie zu konstatieren. Das Brügge Rodenbachs ist bekannt geworden; man vergißt, daß es ein Gleichnis war, von einem Dichter erfunden für seine Seele, und man besteht auf dem Wortlaut. Aber diese Stadt ist nicht nur schlafbefangen und wehleidig und traumhaft lautlos, sie ist auch stark und hart und voller Widerstand, und man muß nur an das verblichen gespiegelte Venedig denken, um zu merken, wie wach und ausgeschlafen hier die Spiegelbilder sind. Sie hat freilich Stunden, wo sie hinzuschwinden scheint, unaufhaltsam wie ein Wandgemälde unter den Flechten der Feuchtigkeit; aber wer sie so schildern würde, den könnte man widerlegen mit ganzen Tagen, in denen sie dasteht in ihren Feldern wie ein Schachspiel, Figur neben Figur, plastisch, klar und greifbar. Ihre Farben sind ausgegangen da und dort, aber das Muster ist überall deutlich erkennbar, und der Kanevas ist von der Festigkeit flandrischer Gewebe."
Das erklärt wohl manche Wendung im Gedicht, ohne dass es an Zauber verliert. e.u.

Verfasst: 17. Jul 2004, 15:51
von Barbara
Hallo,

danke e.u. für diese ausführliche Antwort!

Interessieren würden mich auch die anderen noch unbeantworteten Fragen Anitas:
Was und wo sind "Gärten" in Brügge, die in diesem Gedicht gemeint sein könnten?

Und : wieso wird das "Glockenspiel" - des Belfried ? - mit einer "Traube" bzw mit "Beeren" verglichen ?


Vielleicht weisst Du auch darauf eine Antwort ? Wäre schön! Bist Du eigentlich schon einmal in Brügge gewesen ?

Viele Grüße von Barbara :lol:

Verfasst: 17. Jul 2004, 16:23
von gliwi
Hallo,
schade, im alten Forum haben wir dieses Gedicht mal ausführlich diskutiert - das ist jetzt weg. Also ich war schon des öfteren in Brügge, es ist eine wunderbare Stadt, und "Quai du Rosaire" ist der Name der Straße, von der aus etwa das Foto auf der karte gemacht ist. Ich habe schon ziemlich an derselben Stelle Fotos gemacht, wegen dieses Gedichts. Das Glockenspiel - nun, ich denke, die einzelnen Töne des Glockenspiels (vom Belfried, der in Brügge besonders massiv und hoch ist ), die man ja recht deutlich wahrnimmt, werden in dieses Bildvon den einzelnen Beeren der Traube gefasst. Mal was anderes als "Perlen an einer Schnur", ein für Rilke viel zu abgedroschenes Bild.Und die Gärten, die findet man, wenn man an dem Fluß entlang weitergeht, zum Stadtrand hin. (Belgien wird als Reiseland ohnehin total unterschätzt, einen Besuch in Brügge kann ich nur wärmstens empfehlen. Weitere Belgien-Tipps auf Anfrage :wink: )
Gruß
gliwi

Verfasst: 18. Jul 2004, 11:05
von Anita
Hallo,

ganz herzlichen Dank für die vielen ausführlichen Antworten. Da ich plane demnächst Brügge und einige andere Orte in Belgien zu besuchen, haben Sie mir wertvolle Tipps gegeben! Vielleicht können Sie mir noch sagen, warum der Belfried in Brügge oben keine Spitze hat, so wie der Belfried in Ypern und Gent beispielsweise? Und welche Funktion hatte ein Belfried eigentlich früher ? Gibt es in jedem belgischen Ort einen Belfried (mit einem Glockenspiel) ?

Herzlichen Dank und viele Grüße, Anita :lol:

Belfried

Verfasst: 18. Jul 2004, 11:17
von Paula
Hallo,
... auch wenn der Autor heute vielleicht etwas umstritten ist - Henry Wadsworth Longfellow, der von 1807 bis 1862 lebte, sagte:


"Dann melodisch und getragen, als ob`s aus alten Zeiten fiel /
Mit unirdisch-fremden Klängen läutete das Glockenspiel."
:wink:

Viele Grüße von Paula

Verfasst: 18. Jul 2004, 12:46
von Barbara
Hallo,

ursprünglich hatte auch der Brügger Belfried eine Spitze. Diese war aus Holz und brannte 1771 aus. 1822 bekam er dann einen Ballustradenkranz als Abschluss.

Der Turm wird von oben nach unten immer älter: 1487 wurde das schlanke Oktogon mit dem Glockenspiel fertig. 1315 enstanden die Ecktürmchen am obersten Backsteinstockwerk. Der massive Unterbau entstand etwa 1240, wurde aber nach einem Brand 1282-87 saniert.

Viele Grüße von Barbara :lol:

Verfasst: 18. Jul 2004, 13:51
von e.u.
Hallo,
noch eine kleine 'Trauben'-Ergänzung. Das Glockenspiel aus Brügge stammt zwar aus dem 15.Jahrhundert, aber bei solchen Carillons war es (zumindest im 18.Jahrhundert) möglich, einen Teil der (47) Glockenschalen wie Trauben an einem Weinstock hängend über dem Spieltisch anzubringen. Das Bild war also schon vor Rilke geläufig.
Ein gutes Beispiel ist dafür das Gablersche Glockenspiel in Weingarten (1750). Aber ich habe beide noch nicht gesehen.
Wer weiß noch etwas mehr? Das hilft vielleicht, den Text besser zu verstehen. e.u.

Verfasst: 18. Jul 2004, 20:24
von Barbara
Hallo,

"Ein Carillon ist ein großes Glockenspiel, bei dem die Klöppel der Glocken über Zugdrähte und Wellenbrett (Kipphebel) mit den Tasten des Spieltisches verbunden sind und so mechanisch von einem Spieler angeschlagen werden können. Der Spieltisch ist dem einer Orgel vergleichbar und besteht aus einem Rahmenwerk, in dem die Stöcke für das Manual und die Tasten des Pedals eingebaut sind. Die Stöcke sind in einem Abstand von ca. 50 mm wie Klaviertasten angeordnet. Da für das Anschlagen der Glocken aber z.T. erhebliche Kräfte nötig sind, handelt es sich bei den Tasten um recht große "Stöcke", die man nicht mit den Fingern, sondern mit der Faust spielen muss. Die tieferen Töne, also die größeren Glocken, kann man auch mit den Füßen auf dem Pedal anschlagen. Mit einem solchen mechanischen Spieltisch kann man sehr "gefühlvoll" spielen, der direkte Kontakt mit dem Klöppel der Glocken ermöglicht ein sanftes oder auch ein starkes Anschlagen der Glocken, so dass man Töne sehr dezent anschlagen oder auch betonen kann. Man kann so sehr differenziert spielen und z.B. auch Liedmelodien hervorheben" (http://www.stabkirche.de/carillon.html)

Es scheint so auszusehen , als ob an einem "Weinstock" Glocken wie "Trauben" hängen .

Auch in Weingarten scheint es ähnlich zu sein .
http://www.kloster-weingarten.de/gabler-orgel.htm


Noch eine Frage an die Brügge Kenner im Forum: hängen die "Trauben" jeweils zusammen im Belfried oder alle einzeln jeweils in einem "Fenster" ? Kann man das Glockenspiel im Turm von aussen/ von der Strasse aus sehen ?

Bild

Vielleicht entdecken wir weitere Hinweise und finden heraus, wie R.M. Rilke es gemeint haben könnte?!

Viele Grüße von Barbara :lol:

Furnes

Verfasst: 10. Okt 2004, 19:01
von Simone
Hallo,

habe gerade bei rilke.de Rilkes Aufsatz "Furnes" gefunden:

http://www.rilke.de/biografie/furnes.html

Nächsten Sommer will ich Flandern besuchen und bin gespannt , ob ich noch etwas aus Rilkes Berichten und Gedichten dort wiederentdecken kann !

Herzliche Grüße von Simone :lol:

Furnes

Verfasst: 10. Okt 2004, 19:06
von Simone
Hallo nochmal,

.... gerade sehe ich, dass Rilke auch zum Marionetten-Theater in Furnes geschrieben hat:

http://www.rilke.de/gedichte/marionetten.htm

Ja, es gibt wirklich noch viel zu entdecken :lol: !

Liebe Grüße von Simone

Gabler Orgeln

Verfasst: 10. Okt 2004, 21:43
von Anna B.
Hallo Forum,

heute wurde die restaurierte 200 Jahre alte Gabler Orgel im Kloster Ochsenhausen wieder eingeweiht und diese Woche finden viele Veranstaltungen dazu statt . http://www.ochsenhausen.de

Liebe Grüße von Anna :lol: