Weißt Du, Matze,
Deine rote Schrift erinnert mich an die Lehrer, die mir, als es noch „Kopfnoten“ (Betragen, Aufmerksamkeit, Fleiß, Ordnung) in den deutschen Schulzeugnissen gab, immer die sehr gute Note zuerkennen zu müssen glaubten – allenfalls unsicher ahnend, dass dieser Schüler, dem vieles allzuleicht zufiel, kein bisschen fleißig war (und aus dem leeren Hausaufgabenheft Latein-Übersetzungen flüssig „vorlas“), ja dass er Fleiß sogar als eine Art Talent-Ersatz leise geringschätzte.
Nun ist das lange her, und inzwischen habe ich längst Lebensfelder gefunden, die mir nicht leichtes Spiel bedeuten und mir, dem Ungeübten, Mühe abverlangen und bisweilen auch Scheitern bescheren.
Deinen Dank will ich doch etwas modifizieren, damit er nicht unverdient ist. Denn Bienenfleiß war’s wieder nicht, sondern etwas anderes, das zu tun hat mit meiner Haltung gegenüber dem Werk Rainer Maria Rilkes, dessen Vielschichtigkeit mich immer wieder begeistert, das ich immer wieder in Beziehung sehe zu uns Heutigen und dem ich wünsche, dass es Verbreitung finde überall dort, wo Menschen sich dem „anderen Sehen“, dessen Bilder Rilke in Worte bündelt, hinzuwenden bereit sind – und sei es für kostbare Augenblicke des eigenen Lebens nur.
Das Tippen selbst, nun: Ich hatte als Kind eine Tante, die auf einer halbzentnerschweren Schreibmaschine im Stenographenverein Meisterschaftswettbewerbe in Tempo und Fehlerfreiheit gewann, wobei ihre Finger wie ein Spechtschnabel zu hacken hatten. Heute kann ich Laie ohne Anspruch auf Preiswürdigkeit auf der Mac-Tastatur die damaligen Rekorde sicher übertreffen, und die Finger bleiben ganz entspannt und streicheln die Tasten nur zart – nein, das ist wirklich keine Mühe.
Als ich das Thema fand, dachte ich zunächst: Himmelswillen, das wird kein Rilke-Zitat sein!, und wurde neugierig, ob ich im Internet fündig würde; vermutet hatte ich – ehrlich gesagt – die Dale-Carnegie-Ecke der Life-is-a-beautiful-thing-to-live-Ratgeberli.
Aber dann war der Text überraschend anders; inzwischen steht er ja noch
an anderer Stelle vollständig im Netz. Und er war ganz im Einklang mit Briefstellen Rilkes über das Schwere, und doch ganz eigenartig in der Stimmung der Ansprache an ein Du. Das fand ich spannend.
Du schienst ja eigentlich bedient durch sednas Hinweis; darum, Dir die Suche noch mehr zu erleichtern, ging es mir (pardon!) gar nicht, sondern darum, unmittelbar zum Gespräch anzuregen, an dem sich auch solche Teilnehmende hier beteiligen können, die – wie ich – keine Bibliothek in ihrer Nähe und keine Gesamtausgabe zur Verfügung haben.
Mein Lesen ist so, dass ich „mit einem Blick“ erfasse, was auf einer Seite steht (als es noch Telefonbücher gab, war das praktisch beim Suchen); aber wenn ich etwas so Gefundenes wirklich bis in Detail und Tiefe verstehen will, dann bändige ich mich zum Langsamlesen. Und das beste Mittel hierzu
neben dem Laut-Lesen ist das Abschreiben; das ist eigentlich gar keine Sondermühe, sondern eine Hilfe und Methode der Intensivierung von Verstehen und Aneignen.
Dass dabei hernach ein Beitrag im Internet steht, ist eigentlich Zutat; das eigentliche Produkt ist der Entschleunigungsvorgang selbst, der Hektik unseres Alltags und der gewohnheitsmäßigen Ungeduld des unkünstlerischen „Verstands“ abgerungen.
Insofern Dir herzlichen Dank, dass Du auf einen so interessanten Text aufmerksam gemacht hast, von dem sicher viele von uns zuvor nichts wussten.
Christoph