Lieber Vito,
das ist eine sehr interessante Frage - durch die der feine Unterschied in der Bedeutung mir erst bewußt wird.
Ich werde versuchen, zu erklären, was ich meine, auch wenn das nicht ganz einfach ist.
Grammatikalisch ist es noch nicht so schwierig:
"
Die Leere", femininum, ist sozusagen die "Leer-heit" (aber dieses Wort gibt es nicht im Deutschen).
Ein eigentlich
abstrakter Begriff, wie "Gesundheit" oder "Krankheit", "Helle" oder "Dunkelheit", "Trockenheit" oder "Nässe" (auch die Worte "Hell-heit" oder "Naß-heit" gibt es nicht).
"
Das Leere", neutrum - das ist
konkret alles das, was leer ist, so wie "das Gesunde", "das Kranke", "das Helle", "das Dunkle", "das Trockene", "das Nasse"...
Wenn Rilke also von
dem Leeren spricht, das "im erschrockenen Raum" in Schwingung geriet, dann sehe ich förmlich
dieses konkrete "Leere" vor mir, spüre die Schwingung, in die es gerät und höre den Ton, den sie erzeugt - und seither ist Musik da, und das, was damals "leer" war, ist nicht mehr leer.
Wenn er aber schreibt:
- ... Wirf aus den Armen die Leere
zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel
die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.
, dann sehe ich nicht ein konkretes (sozusagen "persönliches" und damit im großen Ganzen irgendwie "belangloseres") Leeres, sondern etwas wie ein "prinzipielles
Unvermögen, anders als leer zu sein"...
Wenn ich näher darüber nachdenke, stelle ich mir sogar die (zugegeben: sehr hypothetische) Frage, ob Rilke, wenn er diese Elegie in der Zeit
vor der Entstehung der Musik geschrieben hätte (immer vorausgesetzt, es hätte eine solche Zeit gegeben; in der Sage, auf die er sich bezieht,
gab es sie offenbar) --- ob er dann nicht auch hier "
die Leere" geschrieben hätte, weil eben das "prinzipielle
Vermögen, anders als leer zu sein" für den nicht mit "Materiellem" erfüllten Raum noch nicht in der Welt gewesen wäre...
(ich weiß schon, der "nicht mit Materiellem erfüllte Raum", der durch Töne in Schwingung geraten kann, ist natürlich doch von "Materiellem" erfüllt, nämlich von Gasförmigem - aber wenn man sich's
bildhaft vorstellt, ist es dennoch wie ein "Nichts"...)
Oweh.
Ich sehe: was ich geschrieben habe, liest sich leider ganz anders als das, was ich beim Lesen der Worte Rilkes empfinde.
Immerhin - das rein Grammatikalische konnte ich hoffentlich verständlich machen.
Herzlichen Gruß!
Ingrid