Hallo dubist’s,
mein gutgemeintes Wort scheinst du leider ähnlich aufgefasst zu haben wie du wohl dein Leben überhaupt aufzufassen neigst: als Härte.
Schade, dass wir über deine Befindlichkeit und Klage mehr erfahren als über deine Gedanken, mehr über deine Lebenssituation und -geschichte als über deinen Versuch, dich auf das Gedicht einzulassen.
Immerhin:
ichbins hat geschrieben:ich kann mir dieses wundervolle gedicht immer wieder vor meinem inneren auge wiederspiegeln.dennoch erkenne ich nicht,was rilke meint!
Nun, abgesehen vom
Klemping {das mich durchaus irritiert} lese ich das als Einladung, nun mitzuwirken.
stilz hat geschrieben:Für mich geht es in diesem Gedicht um Zärtlichkeit, um Hingabe …
schon in der zweiten Zeile wird aus dem unbestimmten "jemanden" ein konkretes "Dich".
Ja, das scheint mir gewissermaßen die Vorderseite dieses Liebe-Gedichts zu sein. Und du @
stilz belegst diese Auffassung überzeugend am Rhythmus, am Versmaß, wie an der Wort-Wahl, am Bild. Gewiss, das Gedicht sagt, was es sagt – man braucht und sollte nicht „dahinter“ auf die Suche gehen. Erst recht nicht etwas „hineinlegen“.
Und dennoch, mir scheint, da gibt es noch ein weiteres:
Man kann – wie gewohnt – aufs Endreimschema sehen, aber viel ohrenfälliger hier scheinen mir die drei Anaphern auf «Ich» in Zeilen 1, 3, 5 zu sein und darauf die drei Anaphern auf «Und» in Zeilen 7, 11, 15.
- *Ich möchte
(s)
*Ich möchte
(t)
*Ich möchte
(u)
*Und möchte
(v)
[’A]
(w = „und”)
*Und
(x = „und“)
[’B]
(y)
*Und
(z)
Von woher kenne ich solch einen Aufbau? Von kultischem und von mantrischem Wort.
{
Im weitesten Abstand von der Ostern-Michaeli-Achse des Jahreslaufs, nämlich Anfang Januar und Ende Juni, spricht der Seelenkalender:
und auch hier ist das «Und» nicht dem Rhythmus oder gar der dichtenden Verlegenheit geschuldet.}
Lese ich dieses Einschlafschwellen-Gedicht unter diesem Blickwinkel, dann erwächst in mir eine Frage: die Frage nach der Zauberhaftigkeit, der Magie dieses Gedichts, das doch nirgends Attribute einer Geliebten preist, sondern vielmehr zugleich mit seinen Daktylen «streichelt», wie es mich erleben lässt, berührt zu werden wie von einem (קֹול דְּמָמָה דַקָּה׃) leisen sanften Säuseln.
Das erste «Ich möchte»: Sitzen, Sein – das zeichnet unsere physische Existenz aus, unsere stoffliche Leiblichkeit, zugleich unser Instrument-Sein für den Geist.
Das zweite «Ich möchte»: Wiegen, Begleiten, dem Atem Stimme leihen – das sind Anzeichen unseres im Rhythmus-Lebens, schlafein, schlafaus.
Das dritte «Ich möchte»: warm ein Du vor Kälte Hüten – hier kommt unser In-Beziehung-Sein ins Spiel, das ja immer auf Seelisches weist. Und zugleich tritt das «Ich» in sein ureigenes Feld: das des Bewusstseins, des Um-Etwas-Wissens, ganz individuell.
Nun ist der Ganze Mensch da, sein Körperliches, seine Vitalität, der seelische und der ideelle Mensch.
Und von dort aus kann nun erlauscht, erkundet werden: der Umkreis, das Du, die sinnliche Welt, der begriffliche Zusammenhang der Erscheinungen. Die Dinge in der Zeit. Die Vorgänge und Beziehungen in der Sozialität, in der Fremde.
Der Mensch ist aber nicht nur wo er bittet «
kind mit großen augen», sondern die Augen weiten sich beim
ernsten Staunen, mit dem alle Begegnung mit dem geistig Wesenhaften in
Stille beginnen muss.
Und da erst kann die Achtsamkeit des Haltens & Loslassens, der
intransitiven Liebe, beginnen.
Solche Liebe durchdringt alles Dunkel, lässt alles Bedrohliche weichen.
– – –
Verzeiht’s, dieser Beitrag wird dem einen oder anderen erscheinen, als entferne er sich von dem Gedicht. Oder von der Sprache, die sonst hier (auch von mir) gesprochen wird. Alles was ich sagen will ist, dass für
mich dies alles in dem Gedicht mitschwingt, stärker vielleicht als es von Rilke intendiert war. Also, ich will an keiner Stelle sagen: „Rilke meinte…“
Gruß, heute aus einer Art Einkehr geschrieben.
Christoph