An Georg Fuchs – „Hinaus über die Literatur!“
Verfasst: 25. Mai 2010, 23:21
Sieh an, was man so alles in Büchern, die keiner mehr lesen mag, erzählt bekommt ...
Georg Fuchs: Sturm und Drang in München um die Jahrhundertwende. München, 1936.
Obwohl in diesem Buch der zeittypische Braunton in Fuchsens Stimme definitiv nicht wohltut – das Schmökern ist der Mühe wert, die Freude kommt unverhofft: mit einem Brief Rilkes an Georg Fuchs vom 9. July 1899 (... den ich bislang nirgends finden konnte. Weiß jemand Näheres dazu?) über dessen Aufsätze, die einige Jahre später in dem Buch "Die Schaubühne der Zukunft" zusammen gefaßt werden - Fuchs schreibt :" ... in denen ich von einem Bekenntnis Anselm Feuerbachs ausgegangen war, welches lautet: "Ich hasse das moderne Theater, weil ich scharfe Augen habe und über Pappdeckel und Schminke nicht hinwegkommen kann. Ich hasse den Dekorationsunfug vom Grund der Seele. Er verdirbt das Publikum, verscheucht den letzten Rest gesunden Gefühls und erzeugt den Barbarismus des Geschmacks, von dem die Kunst sich abwendet und den Staub von ihren Füßen schüttelt." - Rilkes Reaktion:
„Nach einer langen Reise durch Rußland kehre ich nachhause zurück und blättere in den angesammelten Briefen und Zeitschriften. Da finde ich in der Wiener Rundschau Ihren Sermon – und ich muß es mir ganz unwillkürlich geschehen lassen, daß ich mich am Schreibtisch finde und über diesem Dank an Sie.
Wie oft in der Hoffnungslosigkeit des vergangenen Theaterwinters habe ich mir gewünscht, irgendwo solchen Worten zu begegnen, irgendwo einer ernsten Abwehr und weisen Warnung Stimme zu vernehmen, die aufsteht inmitten dieses täppischen Tanzes von Einfalt und Eitelkeit. – Nun fühle ich Ihre Worte wie eine Erfüllung, und fühle sie auch wie eine Aussaat, die - - unsäglichen Reichthum verbreitet.
Wie oft kam ich mit dem Gefühle physischen Leidens vom Theater nach hause. Und dies zu einer Zeit, da in der Malerei und Bildhauerei wirklich etwas wie ein Wiedersehen mit der Schönheit selber, oder doch wie eine Ahnung ihrer Wiederkehr sich vorbereitet. Der ganze Muth und alle Freudigkeit wurde mir immer welk in der kranken Luft dieser Abende – und doch konnte ich es nicht über mich bringen, fern zu bleiben, weil ich das Recht der Schaubühne trotz Allem erkannte - - - dennoch erschien mir die Schaubühne als der große freie Platz, auf dem das Bild Geberde und das Wort Bewegung werden kann, wie Sie so trefflich sagen. - - - Nicht das Complicierte mit seinen unruhigen Nuancen und seinen plötzlichen aufreizenden Übergängen ist dramatisch; denn es ist für jeden der tausend Zuschauer etwas Anderes und es führt die Aufmerksamen und Willigen nur noch weiter auseinander. Angesichts seiner werden aus tausend Zuschauern – zehntausend, die sich von einander abkehren, und unter denen keine Gemeinsamkeit besteht, als die erbärmliche Convention. Daher kommt das Unfestliche und Feindliche und Banale.
Das Fest aber, welches die Schaubühne stiften müßte, wäre dieses: durch Darstellung der tiefsten und leisesten Erlebnisse, durch Sichtbarmachung der kleinsten Pendelschläge jene tiefsten Schicksale aufzudecken, welche wie die letzten Hütten sind: dahinter rauscht das Meer: die große Gemeinsamkeit. – Und im Gefühle einer edlen großen Einheit und Einigkeit die Menge zu versöhnen, zu verbrüdern, emporzuheben wie einen einzigen Mann, ihr einen Augenblick lang ein Ziel, eine Freude und eine Kraft zu geben, die zugleich Ziel und Freude und Kraft im Einsamen sind, kurz: jeden in dieser Menge bis an den Rand seiner Möglichkeiten auszubreiten, so daß er alle Töne seiner Seele fühlt in einem einzigen Accord -: das ist das Fest, welches die Schaubühne stiften kann und – stiften wird.
Das zu erreichen aber muß die Losung heißen: Hinaus über die Literatur!
Und weil ich mich so gern unter dieser Fahne fühle, konnte ich mir nicht verwehren, Ihnen mit diesen Worten dankbar zu sein. Schon oft bei anderen Gelegenheiten wollte ich Sie begrüßen. Diesmal sei es gesagt: Es ist gut, daß wir solche Wecker und Rufer haben; denn wir haben außer allen Halbschlafenden und Übernächtigen auch solche, die auf das Weckwort wahrhaft schlafend warten. Und in ihrem Schlaf versammeln sich die Kräfte rund um ihre Seele, wie reißige Riesen nachts im Walde um einen Altar sich versammeln.“
Georg Fuchs: Sturm und Drang in München um die Jahrhundertwende. München, 1936.
Obwohl in diesem Buch der zeittypische Braunton in Fuchsens Stimme definitiv nicht wohltut – das Schmökern ist der Mühe wert, die Freude kommt unverhofft: mit einem Brief Rilkes an Georg Fuchs vom 9. July 1899 (... den ich bislang nirgends finden konnte. Weiß jemand Näheres dazu?) über dessen Aufsätze, die einige Jahre später in dem Buch "Die Schaubühne der Zukunft" zusammen gefaßt werden - Fuchs schreibt :" ... in denen ich von einem Bekenntnis Anselm Feuerbachs ausgegangen war, welches lautet: "Ich hasse das moderne Theater, weil ich scharfe Augen habe und über Pappdeckel und Schminke nicht hinwegkommen kann. Ich hasse den Dekorationsunfug vom Grund der Seele. Er verdirbt das Publikum, verscheucht den letzten Rest gesunden Gefühls und erzeugt den Barbarismus des Geschmacks, von dem die Kunst sich abwendet und den Staub von ihren Füßen schüttelt." - Rilkes Reaktion:
„Nach einer langen Reise durch Rußland kehre ich nachhause zurück und blättere in den angesammelten Briefen und Zeitschriften. Da finde ich in der Wiener Rundschau Ihren Sermon – und ich muß es mir ganz unwillkürlich geschehen lassen, daß ich mich am Schreibtisch finde und über diesem Dank an Sie.
Wie oft in der Hoffnungslosigkeit des vergangenen Theaterwinters habe ich mir gewünscht, irgendwo solchen Worten zu begegnen, irgendwo einer ernsten Abwehr und weisen Warnung Stimme zu vernehmen, die aufsteht inmitten dieses täppischen Tanzes von Einfalt und Eitelkeit. – Nun fühle ich Ihre Worte wie eine Erfüllung, und fühle sie auch wie eine Aussaat, die - - unsäglichen Reichthum verbreitet.
Wie oft kam ich mit dem Gefühle physischen Leidens vom Theater nach hause. Und dies zu einer Zeit, da in der Malerei und Bildhauerei wirklich etwas wie ein Wiedersehen mit der Schönheit selber, oder doch wie eine Ahnung ihrer Wiederkehr sich vorbereitet. Der ganze Muth und alle Freudigkeit wurde mir immer welk in der kranken Luft dieser Abende – und doch konnte ich es nicht über mich bringen, fern zu bleiben, weil ich das Recht der Schaubühne trotz Allem erkannte - - - dennoch erschien mir die Schaubühne als der große freie Platz, auf dem das Bild Geberde und das Wort Bewegung werden kann, wie Sie so trefflich sagen. - - - Nicht das Complicierte mit seinen unruhigen Nuancen und seinen plötzlichen aufreizenden Übergängen ist dramatisch; denn es ist für jeden der tausend Zuschauer etwas Anderes und es führt die Aufmerksamen und Willigen nur noch weiter auseinander. Angesichts seiner werden aus tausend Zuschauern – zehntausend, die sich von einander abkehren, und unter denen keine Gemeinsamkeit besteht, als die erbärmliche Convention. Daher kommt das Unfestliche und Feindliche und Banale.
Das Fest aber, welches die Schaubühne stiften müßte, wäre dieses: durch Darstellung der tiefsten und leisesten Erlebnisse, durch Sichtbarmachung der kleinsten Pendelschläge jene tiefsten Schicksale aufzudecken, welche wie die letzten Hütten sind: dahinter rauscht das Meer: die große Gemeinsamkeit. – Und im Gefühle einer edlen großen Einheit und Einigkeit die Menge zu versöhnen, zu verbrüdern, emporzuheben wie einen einzigen Mann, ihr einen Augenblick lang ein Ziel, eine Freude und eine Kraft zu geben, die zugleich Ziel und Freude und Kraft im Einsamen sind, kurz: jeden in dieser Menge bis an den Rand seiner Möglichkeiten auszubreiten, so daß er alle Töne seiner Seele fühlt in einem einzigen Accord -: das ist das Fest, welches die Schaubühne stiften kann und – stiften wird.
Das zu erreichen aber muß die Losung heißen: Hinaus über die Literatur!
Und weil ich mich so gern unter dieser Fahne fühle, konnte ich mir nicht verwehren, Ihnen mit diesen Worten dankbar zu sein. Schon oft bei anderen Gelegenheiten wollte ich Sie begrüßen. Diesmal sei es gesagt: Es ist gut, daß wir solche Wecker und Rufer haben; denn wir haben außer allen Halbschlafenden und Übernächtigen auch solche, die auf das Weckwort wahrhaft schlafend warten. Und in ihrem Schlaf versammeln sich die Kräfte rund um ihre Seele, wie reißige Riesen nachts im Walde um einen Altar sich versammeln.“