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Interpretation "Ich liebe dich, du sanftestes Gesetzt&q
Verfasst: 22. Mär 2004, 20:06
von sveny80
Ich versuche Rilkes Gedicht "Du sanftestes Gesetz" zu verstehen, weiß aber nicht wie es gemeint ist.
Kennt jemand eine Analyse oder eine Interpretation hierzu?
MfG Sven
Verfasst: 23. Mär 2004, 21:01
von Barbara
Hallo,
Hier etwas zur Entstehung des Gedichts:
geschrieben wurde es am 26.9.1899. In Rilkes "Stundenbuch. Vom mönchischen Leben" - also dem ersten Teil des "Stundenbuchs"-, wo es aufgenommen wurde, steht dazu folgendes: "An einem Tage, da es Regens kein Ende war, Pilze mit seltsam großen Köpfen im Walde um alle Stämme standen und kaum soviel Licht war über der Welt um Glanz auf den nassen Blättern des blutroten, welken Weines zu sehen./ (am 26. gen Abend.)"
Liebe Grüße von Barbara

Verfasst: 8. Okt 2004, 17:39
von sveny81
Hallo,
danke für diese Erläuterungen ... ! Ein Tag wie heute !
Aber: was bedeutet wohl "sanftestes Gesetz" ?
Sven

Verfasst: 22. Nov 2006, 15:31
von eva337
Ich beschaeftige mich mit "Du sanftestes Gesetz", seit ich das Rilke-Projekt gekauft habe und dieses wunderbare Gedicht immer und immer wieder angehoert habe - und gelesen... (an dieser Stelle sei gesagt, dass es Xavier Naidoo gelungen ist, ein wirklich schoenes Lied entstehen zu lassen)
Zuerst dachte ich, es sei an Gott gewandt oder zumindest an einen Gott. Aber es ist sehr gut moeglich, dass es an die Natur gewandt ist.
Ich weiss es nicht, und ich habe auch noch keine Interpretationen von diesem Gedicht gelesen.
Um ehrlich zu sein, ist es natuerlich interessant, in welchem Zusammenhang ein Gedicht entstanden ist, an wen gerichtet und wie gemeint, aber soll uns Poesie nicht ein GEFUEHL vermitteln? Ist es nicht am wichtigsten, dass wir unser Herz oeffnen und die so kunstvoll komponierten Saetze, die so liebevoll gewaehlten Worte in uns aufnehmen und noch lange davon zehren?
Lg, Eva

Verfasst: 22. Nov 2006, 23:50
von gliwi
Wäre schön, wenn es mal jemand hier einstellt. In den 08/15-Standard-Sammlungen ist es nämlich nicht drin.
Verfasst: 23. Nov 2006, 09:34
von stilz
Ja, ist denn nicht folgende Passage aus dem "Mönchischen Leben" gemeint (die natürlich hier, innerhalb des Stunden-Buches, zu finden ist!) ?
Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz,
an dem wir reiften, da wir mit ihm rangen;
du großes Heimweh, das wir nicht bezwangen,
du Wald, aus dem wir nie hinausgegangen,
du Lied, das wir mit jedem Schweigen sangen,
du dunkles Netz,
darin sich flüchtend die Gefühle fangen.
Du hast dich so unendlich groß begonnen
an jenem Tage, da du uns begannst, -
und wir sind so gereift in deinen Sonnen,
so breit geworden und so tief gepflanzt,
daß du in Menschen, Engeln und Madonnen
dich ruhend jetzt vollenden kannst.
Liebe Eva, Du schreibst
Zuerst dachte ich, es sei an Gott gewandt oder zumindest an einen Gott. Aber es ist sehr gut moeglich, dass es an die Natur gewandt ist.
Ich habe im Moment leider nicht die Zeit, auch nur zu versuchen, Deine Fragen zu beantworten (und habe auch keine Ahnung, ob ich's überhaupt könnte...), aber ich möchte Dich fragen:
an Gott --- an die Natur ---Worin siehst Du denn da einen Unterschied?
Liebe Grüße!
Ingrid
Verfasst: 23. Nov 2006, 18:13
von gliwi
Hallo Ingrid,
Ich habe unter "Du sanftestes Gesetz" nachgesehen statt unter "Ich liebe dich". Da hätte ich es gefunden. Trotzdem danke fürs Einstellen.
Und dann: Deus sive natura - das ist doch eine andere Weltanschauung; es ist zuviel des understatements, so nonchalant zu fragen, wo da ein Unterschied sei. Natürlich macht es einen gewaltigen Unterschied, ob du Pantheistin bist oder ob du an einen personalen Gott glaubst. Wegen dieses Unterschieds sind Menschen auf dem Scheiterhaufen gestorben - und du sagst, es gibt ihn nicht!
Liebe Grüße
Christiane
Verfasst: 23. Nov 2006, 18:23
von stilz
Liebe Christiane,
bitte, Du verstehst mich ungenau - und ich sehe auch, ich habe ein bisserl ungenau formuliert.
Aber ich habe nicht einfach "nonchalant" behauptet, es gäbe keinen Unterschied!
Ich wollte nur die Frage in den Raum stellen, worin denn der Unterschied besteht. Und ich frage hier nicht nach den Meinungen der verschiedenen Religionen und Weltanschauungen, sondern mich interessiert - denn schließlich sind wir hier im Rilke-Forum! -:
Was würde Rilke auf die Frage antworten:
Worin besteht der Unterschied zwischen "Gott" und "Natur"?
Ich fände es sehr schön, wenn wir versuchen könnten, verschiedene Textstellen zu diesem Thema zusammenzutragen und dann miteinander "auszuwerten"...
Lieben Gruß
Ingrid
Verfasst: 24. Nov 2006, 00:47
von gliwi
Also wenn "Einer ...dieses Fallen... in seinen Händen hält", dann ist er mehr als Natur, geht über sie hinaus, ist nicht identisch mit ihr.
Verfasst: 25. Nov 2006, 14:06
von eva337
also, ehrlich gesagt glaube ich schon, dass dieses gedicht auf "GOTT" bezogen ist, und dass es rilke auch so gemeint hat.
auch - zum beispiel - in "herbsttag", wo er "herr: es ist zeit" schreibt, denke ich spontan an gott, nicht an die natur, aber ich bin verunsichert und wollte eure meinungen hören.
es ist nämlich gut möglich, dass ich nur die eine seite sehe bzw. das gedicht von der falschen seite her ansehe, weil ich eben an gott glaube.
ich sehe in vielen gedichten rilkes etwas göttliches, aber ich habe noch nie wirklich verstanden, ob er es so gemeint hat, wie ich mir das vorstelle. - ein allmächtiger gott, der uns erschaffen hat, uns schützt und bei uns ist.
lg, eva
Verfasst: 25. Nov 2006, 19:01
von gliwi
Hallo Eva.
unter "Rilke und Philosophie, Kunst, Psychologie" o.ä. gibt es eine längere Diskussion über die Frage "War Rilke ein religiöser Dichter?" Hast du das schon nachgelesen? Da findest du verschiedene Antworten auf diese Frage.
Gruß
gliwi
Verfasst: 26. Nov 2006, 10:30
von eva337
nein, noch nicht, aber danke für den tipp, ich werde mich gleich ein bisschen weiterbilden
lg, eva
Verfasst: 27. Nov 2006, 20:50
von stilz
Auch ich "glaube an Gott" - und es liegt überhaupt nicht in meiner Absicht, irgendjemanden zu verunsichern! Und ich erhebe natürlich auch nicht den geringsten Anspruch, Rilke "richtig" zu verstehen...
Was mir an der zitierten Passage so aufgefallen ist, sind die Zeilen:
...daß du in Menschen, Engeln und Madonnen
dich ruhend jetzt vollenden kannst.
Unmittelbar danach wird in sehr "handwerklichen" Bildern geschildert, wie dieses "Vollenden" vonstatten geht...
Und schon einige Absätze zuvor hat es geheißen:
Wir bauen an dir mit zitternden Händen
und wir türmen Atom auf Atom.
Aber wer kann dich vollenden,
du Dom.
...
Aber manchmal im Traum
kann ich deinen Raum
überschaun,
tief vom Beginne
bis zu des Daches goldenem Grate.
Und ich seh: meine Sinne
bilden und baun
die letzten Zierate.
...
Auch wenn wir nicht wollen:
Gott reift.
Dieses Bild eines "reifenden Gottes", an dessen "Vollendung" mitzuwirken wir alle berufen scheinen, und der auch gleichzeitig das "sanfteste Gesetz" darstellt, nach dem diese Vollendung geschehen kann... das finde ich so außergewöhnlich, daß es mich zur eingangs gestellten Frage veranlaßt hat.
Lieben Gruß!
Ingrid
Verfasst: 27. Nov 2006, 21:48
von stilz
Und ich möchte im Zusammenhang mit "sanftestes Gesetz" auch noch aufmerksam machen - endlich ist's mir eingefallen, woher ich diesen Begriff kenne! - auf
Adalbert Stifter, der in seiner Vorrede zu den "Bunten Steinen" (
http://gutenberg.spiegel.de/stifter/bun ... nte001.htm) schreibt:
Wir wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen, wodurch das menschliche Geschlecht geleitet wird.
Nochmal lieben Gruß!
Ingrid