Lieber Vito und Harald,
vielen Dank für's Hereinstellen dieser Übersetzungen!
Ich kannte keine davon - wenn ich versuche, ein Gedicht zu übersetzen, vermeide ich es zunächst, mir bereits existierende Übersetzungen anzuschauen: denn wenn ich darin eine "gelungene" Wendung entdecke, will sie sich in mir festsetzen und verhindert womöglich, daß an dieser Stelle Eigenes entsteht...
Und so wäre es mir vielleicht ergangen mit Deinem, Vito,
"The spirit you nourish/grows strong": das ist wunderbar, und macht mir die Unvollkommenheit und auch Ungenauigkeit meines
"what seems to be your death" bewußt.
Und auch Snow's
"Whatever feeds on you/is taking strength from such fare." finde ich herrlich!
Dennoch bleibe ich bei meiner Version, zumindest so lange, bis ich eine genauere Variante finde, die sowohl das "Zehren" als auch das "Nähren" ausdrückt und sich obendrein auch noch reimen will...
Denn ich muß schon sagen: ich bin etwas erstaunt, daß sich unter all diesen Übersetzungen keine einzige findet, die den
Reim versucht.
Wenn ich das gewußt hätte, hätte mich wohl der Gedanke an die Unvollkommenheit meiner ersten, ungereimten, Fassung nicht so lange "verfolgt", bis ich mich schließlich nochmal hingesetzt habe, um sie doch noch zu überarbeiten.
Auch deshalb bin ich froh, daß ich diese Übersetzungen nicht schon vorher gelesen habe!
vivic hat geschrieben:Eine Kleinigkeit: nur wenige wissen ueberhaupt noch, was ein "belfry" ist.
Ja. Ich hatte dieses Wort ja in meiner ersten ungereimten Fassung auch drin, es war mir immer etwas unbehaglich; ich bin ja kein "English native speaker" und hatte es aus dem Wörterbuch - und gleich das Gefühl, es wäre kein Wort, das man heute noch versteht (wohl deshalb hat es mir auch widerstrebt, "belfries" zu schreiben; "belfrys" schien mir irgendwie besser zu diesem alten Wort zu passen - ich laß diesen "Fehler" deshalb auch so stehen).
Das Schwierige beim Übersetzen von Rilkes Gedichten: man stößt dabei immer wieder auf sehr ungewöhnliche Wendungen, die der "Alltagslogik" zu widersprechen scheinen - und wenn man das dann ins Englische übersetzt, hat man mit der Versuchung zu kämpfen, es dennoch irgendwie "logisch" zu machen, weil Ausdrücke wie "let yourself be rung" halt nicht in die normale Grammatik passen und man daher davor zurückscheut - hier mag ich übrigens sehr die Übersetzung von Barrows/Macy:
"...and you the bell. As you ring, ..."
Ja. Das drückt ziemlich genau (
fast: denn es fehlt das "an-geschlagen-Sein", das ich bei "laß dich läuten" empfinde) aus, was ich beim Lesen des Originals empfinde, und dennoch wird man nicht zu sehr "zurückgestoßen" vom "Ungewohnten"...
Sehr interessant an Deiner Übersetzung, Vito, finde ich:
... feel
how brave every inbreath can widen your breast.
Bei Rilke heißt es ja:
... fühle,
wie dein Atem noch den Raum vermehrt.
- und ich habe darunter ganz unwillkürlich das
Ausatmen verstanden, das nicht die Brust im
Inneren weitet, sondern im Gegenteil den Raum
außerhalb vergrößert... aber natürlich kann man es genausogut auch umgekehrt sehen. Atmen vermehrt Raum, sei es nun im Außen oder im Inneren... danke für diese Er-gänzung!
vivic hat geschrieben:Wie kann ich MEINEN Rilke den Englischen Lesern geben? Da handelt es sich nicht nur um Bedeutung oder Philosophie, sondern auch um andere Werte, vielleicht kurz zusammengefasst im Begriff "Musik," d.h. Sprachmusik.
Ich war zwar philosophisch gebildet (Wittgenstein) , aber die Gedanken in Rilke sind mir oft weniger wichtig als der Zauber mit Sprache., die herzzerbrechende "Schoenheit."
Ja. Das ist ein mir sehr begreiflicher Wunsch: "MEINEN Rilke" weiterzugeben.
Dennoch wäre es mir das noch größere Anliegen, auch englischsprachigen Lesern die Möglichkeit zu geben, "IHREN Rilke" zu erfahren.
Und nun frage ich mich, ob das nicht am ehesten dadurch gelingen könnte, daß man die Rilke-Originaltexte mit einem ganzen Kranz von Übersetzungen verschiedener Menschen umgibt - würde sich ncht dadurch am allerbesten die
Vielfalt dessen erkennen lassen, was Rilkes Gedichte in seinen Lesern auslösen? Und so mancher nicht des Deutschen Mächtige fühlte sich vielleicht angeregt, sich dennoch auch mit dem Original auseinanderzusetzen und seine eigene "Fassung" wenigstens zu erahnen...
Vielen Dank für all diese Anregungen!
Herzlichen Gruß
stilz
P.S.: Und noch etwas: sowohl Du, lieber Vito, als auch Barrows/Macy sprechen von jemandem, der
"far in the distances" ist, bzw
"who has come so far"... während ich bei Rilke lese von einem stillen Freund "
der vielen Fernen", der ja vielleicht auch im eigenen Inneren wohnen kann und somit selber gar nicht "fern" ist...