Liebe Mona,
also, ich würde den Schluß keinesfalls weglassen.
Und, ehrlich gesagt, ich finde ihn überhaupt nicht schwerer verständlich als den Rest der 4. Elegie,
dazu hätte ich selber wohl einige Fragen (zB die nach dem Knaben "mit dem braunen Schielaug"...).
Nicht die Worte Rilkes scheinen mir unbegreiflich zu sein. Sondern das,
wovon er spricht: der Tod eines Kindes, aus heiterem Himmel, ganz und gar unbegreiflich für jeden, der dabei zuschauen muß...
Der Tod eines Erwachsenen, nach einem erfüllten Leben, oder auch nach langer quälender Krankheit - er ist viel leichter zu begreifen. Sogar ein Mord läßt sich, wenn auch nicht "gutheißen", so doch meistens irgendwie nachvollziehen: der Mörder hat ein "Motiv", man kann davon ausgehen, daß es irgendeinen
Grund gibt für sein Verbrechen.
Wieviel schwerer ist es einzusehen, wenn ein unschuldiges Kind
"den Tod, / den ganzen Tod, noch vor dem Leben so / sanft ... enthalten" muß... es scheint keine Begründung dafür geben zu können...
Und ich finde eigentlich nicht, daß dieser Schluß
nicht in die vierte Elegie paßt. Beginnt sie doch mit der Frage
"O Bäume Lebens, o wann winterlich?"
Und später heißt es:
- "... Dann entsteht
aus unsern Jahreszeiten erst der Umkreis
des ganzen Wandelns. Über uns hinüber
spielt dann der Engel. Sieh, die Sterbenden,
sollten sie nicht vermuten, wie voll Vorwand
das alles ist, was wir hier leisten. Alles
ist nicht es selbst."
Den Sterbenden wird es also zugetraut, "hinter die Kulissen" zu blicken. Ebenso aber auch den Kindern:
- "... O Stunden in der Kindheit,
da hinter den Figuren mehr als nur
Vergangnes war und vor uns nicht die Zukunft."
Die Kinder, in diesem
"Zwischenraume zwischen Welt und Spielzeug", können es vielleicht leichter begreifen als wir Erwachsene,
"die andres nicht mehr haen, als das Großsein"?
Seit mein Vater (vor etwa drei Jahren) gestorben ist, behandelt ihn eine inzwischen Sechsjährige mit viel größerer Selbstverständlichkeit als sogar meine Mutter (für die die Kleine wie ein Urenkelkind ist), als "nicht mehr da, aber auch nicht ganz weg" ...
Nein wirklich, ich würde diese Schlußzeilen nicht weglassen.
Und ich wünsche Dir und allen Mitlesern ein frohes Neues Jahr!
Lieben Gruß
Ingrid
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)