- Von den Mädchen
I
Andere müssen auf langen Wegen
zu den dunklen Dichtern gehn;
fragen immer irgendwen,
ob er nicht einen hat singen sehn
oder Hände auf Saiten legen.
Nur die Mädchen fragen nicht,
welche Brücke zu Bildern führe;
lächeln nur, lichter als Perlenschnüre,
die man an Schalen von Silber hält.
Aus ihrem Leben geht jede Türe
in einen Dichter
und in die Welt.
II
Mädchen, Dichter sind, die von euch lernen
das zu sagen, was ihr einsam seid;
und sie lernen leben an euch Fernen,
wie die Abende an großen Sternen
sich gewöhnen an die Ewigkeit.
Keine darf sich je dem Dichter schenken,
wenn sein Auge auch um Frauen bat;
denn er kann euch nur als Mädchen denken:
das Gefühl in euren Handgelenken
würde brechen von Brokat.
Laßt ihn einsam sein in seinem Garten,
wo er euch wie Ewige empfing
auf den Wegen, die er täglich ging,
bei den Bänken, welche schattig warten,
und im Zimmer, wo die Laute hing.
Geht!... es dunkelt. Seine Sinne suchen
eure Stimme und Gestalt nicht mehr.
Und die Wege liebt er lang und leer
und kein Weißes unter dunklen Buchen, -
und die stumme Stube liebt er sehr.
..... Eure Stimmen hört er ferne gehn
(unter Menschen, die er müde meidet)
und: sein zärtliches Gedenken leidet
im Gefühle, daß euch viele sehn.
Aus: Das Buch der Bilder
Liebe Vangelis,
ich würde sagen: im ersten Teil erzählt der Dichter davon, wie wunderbar es ist, daß es solche Mädchen gibt, mit denen ganz ohne "Brücken" tiefinnige Verständigung möglich ist, denn jede "Türe" führt von ihnen "in einen Dichter / und in die Welt".
Diese Strophe würde ich noch nicht in Richtung "getrennte Wege" interpretieren. Sie scheint mir eher davon zu sprechen, wieviel
Nähe möglich ist zwischen einem Mädchen und einem Dichter...
Im zweiten Teil allerdings wird klar: das, was der Dichter in den Mädchen erblickt, muß für ihn "Mädchen" bleiben: fern, einsam, unberührbar für ihn ("Keine darf sich je dem Dichter schenken") - sonst wäre der Zauber dahin ("das Gefühl in euren Handgelenken / würde brechen wie Brokat").
Die
Wirklichkeit liebt der Dichter "lang und leer", und "stumm" ...
Allerdings ist ihm trotz dieser selbstgewählten Einsamkeit und Enthaltung das Gefühl der
Eifersucht (gerade in Bezug auf die "Menschen, die er müde meidet") nicht ganz fremd: "und: sein zärtliches Gedenken leidet / im Gefühle, daß euch viele sehn."
So etwa verstehe ich dieses Gedicht. Was in Deinem/Eurem Fall das "Richtige" ist, kann ich natürlich nicht sagen. Ebensowenig wie ich beurteilen kann, ob es tatsächlich als "Abschiedsgedicht" gemeint ist.
Es wäre natürlich eine Möglichkeit.
Es könnte aber auch sein, daß Dein "Dichter" Dir einfach seinen inneren Zwiespalt zeigen wollte, seine Sehnsucht danach, das ferne, einsame Mädchen in all seinem Zauber unberührt in seinem Herzen bewahren zu wollen... wie zu einem fernen Gestirn zu ihm aufzublicken... was sich natürlich schlecht mit lebendiger und wandelbarer Wirklichkeit verträgt...
Mir fällt zu diesem Thema noch ein anderes Gedicht ein, das "Lied" aus den "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge":
Du, der ichs nicht sage, daß ich bei Nacht
weinend liege,
deren Wesen mich Müde macht
wie eine Wiege.
Du, die mir nicht sagt, wenn sie wacht
meinetwillen:
wie, wenn wir diese Pracht
ohne zu stillen
in uns ertrügen?
- - - - -
Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.
- - - - -
Du machst mich allein. Dich einzig kann ich vertauschen.
Eine Weile bist dus, dann wieder ist es das Rauschen,
oder es ist ein Duft ohne Rest.
Ach, in den Armen hab ich sie alle verloren,
du nur, du wirst immer wieder geboren:
weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.
Vielleicht kannst Du damit etwas anfangen?
Lieben Gruß!
stilz