kunle hat geschrieben:harmonie von ratio und gefühl, staunen und verstehen sind in einklang, herz und kopf sind heil.
Es geht mir gerade um diese Ganzheit. Das, was
kunle hier schreibt,
ist keine Ganzheit. Es ist ein ganz bestimmter Ausschnitt, sozusagen der Mensch oberhalb des Zwerchfells.
Die meisten der Menschen, die den "heilen Menschen" in sich nur per "Therapie" oder auch mit umfassender (lebenslanger) Assistenz finden, sind aber nicht in den beiden Bereichen krank, die
kunles Satz in den Blick nimmt. Sondern - verkürzt gesagt - im
Willen.
Selbstverständlich kann man auf
Teile blicken und darin
das Ganze verstehen. (So überreicht der Kavalier die Rose; er lässt die Wurzel weg.) Man muss dazu aber wissen, was dieses Ganze, das man verstehen will, in seiner Wesens-Gliederung umfasst. Nicht jedes Detail, aber den funktionalen Aufbau. Sonst geschieht Kurioses: Die Verehrte wird die Rose schlecht behandeln, wenn sie nicht um die Wurzel weiß: Sie wird die Schnittstelle nicht versorgen und die Rose dümmstenfalls in die trockene Vase stellen. Schöner Wuchs und Blütenduft waren zusammen eben nicht dauerhaft
ein Ganzes. Nicht falsch verstehen: Eine Rosenblüte kann natürlich
als solche ein Ganzes sein.
Auch wer vom Haus nur Dach und Fassade kennt, wird ohne Fundament bauen, mit fatalen Folgen für das vermeintlich Ganze des zunächst ganz ansehnlichen, aber kurzlebigen Bauwerks.
Unter "Hammer" finde ich bei Wikipedia: "Der Hammer besteht aus einem Kopf und einem Stiel". Wenn ich mir einen unbestielten Hammerkopf vergolden lasse, mag ich etwas Wertvolles besitzen, aber keinen Hammer. Der Stiel fehlt. Ein Hammer ist nur Hammer, wenn er diese Zweiheit aufweist. Auch dann, wenn sie aus einem Stück geschmiedet ist.
Aber der, der mit einem Hammer kraftvoll, fachgerecht und wohl gar schöpferisch umgeht, der
Mensch, der ist, wenn man ihn als ebenso zweigliedriges Wesen ansehen wollte, einfach nicht zu verstehen. Lausche mal dem Klang der Hämmer auf der Baustelle, beim Zimmermann, beim Dachdecker, beim Steinmetz, auch beim Schmied am Amboss: Man kann diese Dreiheit sogar
hören. Der hydraulische und der Druckluft-Nagler geben nur ein einförmiges Geräusch von sich, das sind Maschinen. Aber der Mensch, der mit dem Hand-Werkzeug nicht gerade tolpatschig umgeht, der wird einen Rhythmus entwickeln, bei dem a) Ziel und Dosierung bestimmende Aufmerksamkeit, b) Wucht der Kraftentfaltung und c) Erfühlen des Arbeitsfortschritts im elastischen Ausschwingen des Schlages eine hörbare Dreiheit ergeben. Ja, man kann das geradezu „diagnostisch“ hören! Ich hatte einen Kollegen, der musste beim Kupfertreiben gar nicht auf das Arbeitsergebnis blicken und wusste hörend, wie er die Schüler korrigieren musste. Je nachdem der Kopf mit den Sinnen nicht wach genug dabei war und das Werkzeug die Richtung verlor oder ganz danebenging, oder das Blitzg’scheite sich störend in den Schlag einmischte und den formenden Willen lähmte, oder das Fühlen nicht recht mitträumte, so dass der „fühllos“ harte Schlag deformierte statt zu formen.
kunle hat geschrieben:harmonie von ratio und gefühl, staunen und verstehen sind in einklang, herz und kopf sind heil.
Davon allein entstehen nicht klingende Kupferglocken; da muss die Hand beteiligt sein.
Und zwar nicht als Anhängsel einer Zweiheit, sondern als Ausdruck eines dritten Gliedes des Ganzen. Wie man das
benennt ist weniger wichtig, aber ignorieren, in seinem Zusammenhang, sollte man’s nicht. Sonst kann man seinen Willen auch nicht verleihen, nicht dem Hammerschlag, nicht dem Mitmenschen in arbeitsteiliger Welt, nicht dem, der einer Entwicklungs-Hilfe bedarf. Wo man vom Willen nichts bemerken will, atrophiert er oder er wird brutal.
In diesem Forum schreib’ ich das ja nicht, um meine Auffassung vom Menschen zu propagieren. Sondern weil Rilke oft pauschal einer Willensschwäche geziehen wird, ein Held der Arbeit sei er nicht gewesen, und hinsichtlich der Frauen sei er unbeständig gewesen, bindungs-un
willig usw. Daher meine wiederholten Hinweise auf die immense
Willensleistung Rilkes auch in der Selbstverwandlung.
Gerade angesichts solcher Sätze wie des hier von
kunle zitierten scheint mir der Blick auf die Ganzheit RMR gefährdet, auch wenn
kunle das auf keinen Fall beabsichtigte,
wollte.
Und dennoch: Machen wir nicht aus diesem Nebenthema die Hauptsache! Sonst müsste der Thread heißen: sinn und zweck der interpretation von
kunle-beiträgen!
l.