Liebe(r) ToMatin,
zunächst eine kleine Anmerkung zum Thema "Eitelkeit":
Die Menschen, die mit einiger Regelmäßigkeit hier im Rilke-Forum anzutreffen sind, haben eines gemeinsam. Es ist das
Interesse an Rilke und dem, was er geschrieben hat (In diesem Sinne: Herzlich Willkommen!

)
Für mich kann ich sagen, daß mir viele Gedichte von Rilke inzwischen wirklich kostbar geworden sind. Das gilt auch für dieses Lied.
Und wenn jemand ganz offensichtlich keine Lust hat, sich näher damit zu beschäftigen, es als lästige Pflicht empfindet, darüber einen Aufsatz schreiben zu müssen und von uns erwartet, wir sollen ihm dennoch eine gute Note verschaffen - dann hab ich meinerseits keine Lust dazu, eine solche Erwartung zu erfüllen; es geht mir dabei wirklich nicht um Respekt
mir gegenüber. Sondern wenn jemand so umgeht mit einem mir kostbaren Gedicht, dann tut's mir
weh. So als ob ich zuschauen müßte, wie einem lieben Freund Unrecht getan wird...
In einem solchen Fall versuche ich, dem Fragesteller zu vermitteln,
warum das Gedicht mir etwas bedeutet, in der Hoffnung, vielleicht doch noch sein Interesse zu wecken... Bei IzOn ist das leider nicht gelungen (wie noch deutlicher würde, wenn man nicht eines seiner postings gelöscht hätte). Schade - aber damit muß ich mich abfinden.
Ende des Exkurses.
Zu Deinen Gedanken:
Du schilderst das "lyrische Ich" als jemanden, der eine "pessimistische Sicht" hat von dem, was man gemeinhin als "Liebe" bezeichnet; der davon bisher enttäuscht worden ist, und zwar "von beiden Seiten" - da stimme ich Dir zu. Ganz genauso empfinde ich es auch. Und ich finde es einfach wunderbar, wie klar und einfach und wahr Rilke diese Erfahrung ausdrückt, die wohl die allermeisten Menschen irgendwann im Zusammenhang mit "Liebe" machen:
- Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.
Und auch ich glaube, daß das "lyrische Ich" sich vor dem, was ihm "normalerweise" in einer Liebesbeziehung passiert, schützen will.
ToMatin hat geschrieben:So als käme eine Beziehung, um es mal platt auszudrücken, nicht in Frage, da ihm die Intensität fehlt, er nicht in die Situation kommen will zu lügen und sich von dem einstigen Idealbild zu entfernen.
Ach in den Armen, hab ich sie alle verloren.
Hier würde ich Dir vollständig zustimmen, wenn Du statt "Beziehung" ein anderes Wort genommen hättest. Eines, das klarer (und vielleicht "platter"

) ausdrückt, worauf genau dieses "Ich" verzichten will, wenn es heißt
"wie, wenn wir diese Pracht / ohne zu stillen / in uns ertrügen?"
Denn es ist ja nicht "Beziehung", die vermieden werden soll. Sonst gäbe es keine "Pracht" mehr, die "in uns" zu ertragen wäre. Was das "Ich" sich selber und auch dem "Du" gerne ersparen möchte, das ist
Verstrickung.
Und es stellt die Frage ("wie, wenn..."), ob eine solche "Verstrickungsvermeidung" möglicherweise erreicht werden könnte, indem man sich dazu entschließt, die Beziehung nicht vollständig auszuleben, auf das "Stillen" zu verzichten... daß es dann überhaupt keine
Beziehung mehr wäre, würde ich nicht sagen.
Sehr interessant finde ich Deine Gedanken zum "Du", das Du sozusagen als eine Art "Wechselkennzeichen"

verstehst:
ToMatin hat geschrieben:Das "du" wird genau deswegen immer wieder geboren. Es steht nicht für eine Person, der er seine Gefühle gewidmet hat, denn er ist ja selbst kein "Liebender", also niemand in fester Bindung, sondern ist Sinnbild für seine augenblickliche Reizperson. Sein Problem ist, dass er sich an eben diese nicht binden kann oder will und sie dadurch früh wieder "stirbt". Kurz umschrieben ist er "unglücklich verliebt".
Denn hier kommt für mich sehr deutlich heraus, woran das "Ich" in diesem Lied leidet: mit großer Selbstverständlichkeit setzt Du einen "Liebenden" gleich mit jemandem, der sich "in fester Bindung" befindet.
Rilke tut das nicht. Gerade im "Malte" (es lohnt sich wirklich, ihn zu lesen!) steht es klar und deutlich, daß es für ihn einen Unterschied gibt zwischen dem "Geliebten" (der ohne die ständige Versicherung, daß die Bindung auch wirklich "fest" ist, nicht oder nur "schlecht" leben kann) und dem "Liebenden" (Aufzeichnung 66):
Schlecht leben die Geliebten und in Gefahr. Ach, daß sie sich überstünden und Liebende würden. Um die Liebenden ist lauter Sicherheit. Niemand verdächtigt sie mehr, und sie selbst sind nicht imstande, sich zu verraten. In ihnen ist das Geheimnis heil geworden, sie schreien es im Ganzen aus wie Nachtigallen, es hat keine Teile. Sie klagen um einen; aber die ganze Natur stimmt in sie ein: es ist die Klage um einen Ewigen. Sie stürzen sich dem Verlorenen nach, aber schon mit den ersten Schritten überholen sie ihn, und vor ihnen ist nur noch Gott.
Aber ich gebe Dir gerne zu: wenn man in den "üblichen" Begriffen denkt und "Lieben" mit "in fester Bindung sein oder eine solche anstreben" und darüber hinaus vielleicht auch noch "feste Bindung" mit "ausschließlichem Besitzanspruch" gleichsetzt, dann wird man dieses Lied ganz genau so verstehen, wie Du es schreibst.
Um noch deutlicher zu machen, daß Rilke halt nicht immer in "üblichen Begriffen" gedacht hat, zitiere ich nun noch eine Passage aus dem
"Requiem für eine Freundin":
- Denn dieses Leiden dauert schon zu lang,
und keiner kanns; es ist zu schwer für uns,
das wirre Leiden von der falschen Liebe,
die, bauend auf Verjährung wie Gewohnheit,
ein Recht sich nennt und wuchert aus dem Unrecht.
Wo ist ein Mann, der Recht hat auf Besitz?
Wer kann besitzen, was sich selbst nicht hält,
was sich von Zeit zu Zeit nur selig auffängt
und wieder hinwirft wie ein Kind den Ball.
und ein wenig später:
- Denn das ist Schuld, wenn irgendeines Schuld ist:
die Freiheit eines Lieben nicht vermehren
um alle Freiheit, die man in sich aufbringt.
Wir haben, wo wir lieben, ja nur dies:
einander lassen; denn daß wir uns halten,
das fällt uns leicht und ist nicht erst zu lernen.
Liebe Grüße!
stilz
P.S.: Ich spreche in meinem posting deshalb etwas umständlich vom "lyrischen Ich" statt, wie Du, von "er", weil im "Malte" dieses Lied von
Abelone gesungen wird, was möglicherweise auf ein
weibliches "Ich" schließen läßt. Wenn ich auch glaube, daß es in diesem Fall keine Rolle spielt, ob das "Ich" männlich oder weiblich ist
(das erinnert mich: eine Freundin, sie studiert seit kurzem Komparatistik, erzählte mir, daß sie sich einen Rüffel von ihrem Professor eingehandelt hat, weil sie zu sagen wagte, für die Interpretation eines bestimmten (nicht dieses) Gedichtes sei die Frage nach dem Geschlecht des "Ich" irrelevant... für einen Komparatistiker, so bedeutete man ihr, darf sowas NIEMALS irrelevant sein, er müsse sich immer dafür interessieren, ob es eine "männliche" oder eine "weibliche" Art zu schreiben sei...)
P.P.S.: Der "schwache" Titel "Du, nur du", sicherheitshalber sei es nochmal angemerkt, ist ja nicht von Rilke, sondern von den Produzenten des "Rilke-Projektes".