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blutige Verwandtschaft (die dritte Elegie)
Verfasst: 10. Dez 2006, 18:00
von Astrid
Hallo,
gerade beschäftigt mich die Dritte Duineser Elegie. Ich habe sie noch nie so bewußt gelesen wie heute. Könnt Ihr mir helfen, sie zu verstehen ? Was meint Rilke mit:
"Flußgott des Blutes"
und
"Liebend
stieg er hinab in das ältere Blut, in die Schluchten,
wo das Furchtbare lag, noch satt von den Vätern. "
Wann wurde diese Elegie geschrieben ? Ich habe sekundär gelesen, dass diese Elegie mit Agnes Miegel "Lied der Ahnen" verglichen wird . Was meint Ihr ? Es scheint fast unheimlich darin zu sein, etwas von blutiger Verwandtschaft... Ich bin sehr verunsichert, ob das tatsächlich auch Rilkes Hintergrund war beim Schreiben dieser Elegie . Heute scheint es rassistisch zu sein, zumindest in dieser Interpretation.
Astrid

Verfasst: 11. Dez 2006, 15:11
von stilz
Liebe Astrid,
leider kenne ich Agnes Miegel und ihr "Lied der Ahnen" überhaupt nicht... und kann vielleicht deshalb auch nicht verstehen, wieso Du auf "rassistisch" kommst. Würdest Du das bitte ein bisserl näher ausführen?
Leider hab ich selber grad nicht die Zeit für Ausführliches...
Nur soviel:
Du findest die Vorstellung einer "blutigen Verwandtschaft" unheimlich... ich meine, es muß nicht unheimlich sein. Denn so wie ich es verstehe, geht es ganz einfach um etwas, das einem "im Blute liegt"...
Alles Liebe!
Ingrid
Verfasst: 12. Dez 2006, 23:04
von helle
Entstanden im Spätherbst 1913 in Paris. Alles andere ist schwer ohne den gesamten Zusammenhang der Elegien zu beantworten. Das Thema dieser Elegie ist die triebhafte menschliche Sexualität, für das auch das Eingangsbild des Flußgottes stehen mag: der Gott dessen, was fließt und einfließt – eine Mythisierung der Sexualität . Das ist nun allerdings ziemlich allgemein geantwortet, es ist aber schwer, einzelne Stellen aus der Dritten (wie aus jeder anderen) Elegie anzuführen, und zu sagen, was jeweils damit gemeint ist, so, als gäbe es immer eine genaue Entsprechung zwischen Rilkes Ausdruck und unserer Erklärung. Als könnte man von einem zum anderen springen und die einzelnen Stellen dadurch plausibel machen. Ich will die Probleme nicht überbetonen, aber so tickt die poetische Rede in der Regel nicht, sondern sie will neue Zusammenhänge begründen, die es so nicht unbedingt in der Alltagssprache gibt. Das ist ein Teil der grundsätzlichen Schwierigkeit mit den Elegien und ihrer uneigentlichen Rede, in der sich aber Rilkes ganze Lebens- und Spracherfahrung sammelt.
Ich habe im Rilke-Handbuch ein Zitat dazu gefunden, das einen Aspekt der Sache beleuchtet, er spricht von der "entsetzlichen Unwahrheit und Unsicherheit" seiner Zeit, die ihren "Grund in dem nicht eingestandenen Glück des Geschlechts" habe, "in dieser eigentümlich schiefen Verschuldung, die immerfort zunimmt und uns von der ganzen Natur trennt." Dieses unwahre, schiefe und schuldhafte Verhältnis zwischen Natur und menschlich-sexueller Natur versucht die dritte Elegie zurecht zu rücken, man könnte auch sagen, zu versöhnen. Es ist mir klar, daß das noch keine erschöpfende Antwort auf Deine Fragen ist.
Gruß, helle
Verfasst: 12. Dez 2006, 23:23
von stilz
Lieber helle,
eben, weil es nicht so ist,
als gäbe es immer eine genaue Entsprechung zwischen Rilkes Ausdruck und unserer Erklärung,
hab ich gestern nicht weitergeschrieben... denn ich wollte niemandem das Erlebnis nehmen, das man haben kann, wenn man, was gemeint ist, unmittelbar an den Worten Rilkes begreift.
Nun, vielleicht ist eine solche Vorstellung auch ein bisserl weit hergeholt...
Jetzt, wo Du den Schleier nun mal gelüftet hast

, möchte ich im Zusammenhang mit dem Schluß dieser dritten Elegie noch auf die Passage in der zweiten Elegie hinweisen, wo es heißt:
Ich weiß,
ihr berührt euch so selig, weil die Liebkosung verhält,
weil die Stelle nicht schwindet, die ihr, Zärtliche,
zudeckt; weil ihr darunter das reine
Dauern verspürt.
Gute Nacht!
Ingrid