Auch ich bin nicht katholisch - aber irgendwie widerstrebt mir der Gedanke, man müßte katholisch sein, um ein Rilke-Gedicht zu verstehen

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Dennoch muß ich gestehen, daß ich auf Deine Frage, Astrid, im Moment keine Antwort weiß.
Ich habe gestern alle "Gebete der Mädchen an Maria" gelesen (ich besitze kein Buch, wo sie drin sind, meine Quelle ist also rilke.de) und versucht, einen Zusammenhang zu finden --- und mir fällt dabei noch eine "Übergangssituation" auf:
Das letzte Gedicht des "Ersten Teils" (er ist hier nicht so genannt, aber danach gibt es einen Trennungsstrich) lautet:
Nach den Gebeten:
Ich aber fühle, wie ich wärmer
und wärmer werde, Königin, -
und dass ich jeden Abend ärmer
und jeden Morgen müder bin.
Ich reiße an der weißen Seide,
und meine scheuen Träume schrein:
Oh, lass mich Leid von deinem Leide,
oh, lass uns beide
wund von demselben Wunder sein!
Und der "Zweite Teil" beginnt mit:
Unsere Träume sind Marmorhermen,
die wir in unsere Tempel stellen,
und sie mit unseren Kränzen erhellen
und sie mit unseren Wünschen erwärmen.
Unsere Worte sind goldene Büsten,
die wir in unsere Tage tragen, -
die lebendigen Götter ragen
in der Kühle anderer Küsten.
Wir sind immer in Einem Ermatten,
ob wir rüstig sind oder ruhn,
aber wir haben strahlende Schatten,
welche die ewigen Gesten tun.
Mir scheint, den Betenden ist "nach den Gebeten" etwas geschehen, was mit der Bitte
oh, lass uns beide wund von demselben Wunder sein! zusammenhängen könnte...
Kann es sein, daß die Mädchen in eine Art "Marienorden" eingetreten sind? Und sich hier in einer Weise "geborgen" fühlen, daß die Nächte, die davor nur müde machten, nun durch ihre Träume etwas erhalten, das sie "als goldene Büsten" in ihre Tage tragen können? Und dadurch wird der Abend, an dem sie bis dahin jedesmal "ärmer" waren, nun ein kostbares "Buch", in dem man beglückt einen "vertrauten Ton" wiederfinden kann?
Ich schreibe viele Fragezeichen, weil ich mir überhaupt nicht sicher bin. (und ich war sehr überrascht, als ich auch "Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort" in diesem Zyklus fand!)
Aber ich könnte mir denken, daß es tatsächlich um etwas "Klösterliches" geht ... gar nicht so lange Zeit später entstand das "Stunden-Buch"...
Vielleicht finden wir es gemeinsam heraus?