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"Blaue Hortensie" = Höhepunkt in dt. Literaturgesc

Verfasst: 26. Okt 2006, 20:46
von leviathan
Wieso stellt "Blaue Hortensie" einen erstem und bisher nicht wieder erreichten Höhepunkt in der deutschen Literaturgeschichte dar?
Was ist daran so besonders?
Stilistisch unterscheidet sich das Gedicht kaum, bzw. hebt sich kaum unter anderen seinesgleichen hervor. Warum also dann?
Die Frage wurde mir von einem klugen Kopf gestellt, welcher sie jedoch leider auch bewerten will! :shock:

Verfasst: 26. Okt 2006, 22:23
von gliwi
Hallo Leviathan,
WER behauptet das? Also "Blaue Hortensie" ist eines meiner Lieblingsgedichte von Rilke, und ich würde jedem zustimmen, der sagt, dass es zu seinen besten gehört, aber von da zu einem "Höhepunkt der Literaturgeschichte"...? Das ist ein völlig subjektives Urteil. Ich habe einige Literaturgeschichten gelesen, aber das habe ich noch in keiner gefunden.
Gruß
gliwi

Verfasst: 27. Okt 2006, 10:39
von leviathan
Warte mal, es hieß: inwiefern diese Art von Lyrik einen ersten und bisher nicht wieder erreichten Höhepunkt in der deutschen Literaturgeschichte darstellt.
Diese Frage stammt von unserer LK De Lehrerin, die Rilke als Vaterfigur sieht, also muss se sich irgendwie damit auskennen, auch wenn es voreingenommen ggü. Rilke scheint.
Ich las übrigens deine Beiträge zu Blaue Hortensie und ich bin am überlegen, ob es hier wirklich um die nackte Beschreibung / Dartsellung der Blauen Blume geht; oder versteckt sich da doch ein tieferer Sinn???
Wenn es wirklich bloß um die naturgetreue Wiedergabe geht, warum dann als ein Höhepunkt in dieser Art von Lyrik?
Was lässt dieses Gedicht so hervorstechen?

Verfasst: 27. Okt 2006, 11:38
von Andrea
leviathan hat geschrieben:ich bin am überlegen, ob es hier wirklich um die nackte Beschreibung / Dartsellung der Blauen Blume geht; oder versteckt sich da doch ein tieferer Sinn?
Hier siehst du, wie die Frage bereits die Antwort in sich enthält. Beides ist richtig, man nennt sowas 'Dinggedicht'. Rein sprachlich tut ein Dinggedicht nichts anderes, als ein Ding (einen materiellen Gegenstand) zu beschreiben. Im Beschreibungsvorgang aber geschieht noch etwas Zusätzliches, ein Tieferes offenbart sich in der Beschreibung. Das ist nur etwas verkürzt, ich bin da etwas draußen und habe mich lange nicht mehr damit beschäftigt. Diese Art, Gedichte zu schreiben war damals tatsächlich neu. Rilke hat die Arbeitsweise Rodins versucht, für sein Schreiben fruchtbar zu machen. Ob deshalb Dinggedichte oder insbesondere die "Blaue Hortensie" der Gipfel aller bisher dagewesenen Lyrik gewesen ist, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob Rilke selbst das gefunden hätte. Schließlich hat er später noch andere Weisen, sich auszudrücken versucht. Vielleicht, weil ihm seine eigenen bisherigen Versuche nicht mehr gereicht hatten? Es geht nicht darum, dass ich hier spekulieren möchte, sondern darum, dass ich es problematisch finde, wenn Menschen sich so äußern. Nicht aber, weil es 'subjektiv' wäre: etwas anderes als 'subjektive' Aussagen gibt es nicht. Deshalb sind sie aber noch lange nicht relativiert oder gar gleichwertig, es kommt eben darauf an, wie gut sie begründet sind (schon seit über 2000 Jahren unterscheidet man deshalb doxa von episteme usw., aber heute neigen viele Menschen oft dazu, so klug zu sein, dass sie die Jahrtausende vor uns nicht mehr zu berücksichtigen brauchen - aber das hat ja strenggenommen nichts mehr mit deiner Frage zu tun). Sondern ich finde diese Argumentation deiner Lehrerin etwas...beinahe fanatisch, wie eine übersteigerte Heiligenverehrung (dafür spricht auch dein Zusatz, dass sie ihn als 'Vaterfigur' ansieht).

Schöne Grüße von

Andrea

Verfasst: 27. Okt 2006, 13:29
von gliwi
Es wird z.B. immer wieder die Ansicht vertreten, dass Rilke seinen Gipfel mit den Duineser Elegien erreicht hat, und die sind nun wirklich meilenweit von den Dinggedichten entfernt. Sie lehen sich allerdings an antike Muster an, während die Dinggedichte etwas Neues sind. Ja, das wäre ein Ansatz, wenn man etwas darüber schreiben soll.
Rilke hat jedenfalls nicht einen "tieferen Sinn" als Thema gewählt und anschließend in eine Dingbeschreibung verrätselt, den dann der Leser suchen soll. Er hat die Blaue Hortensie beschrieben, und wenn du dann noch anderes, von mir aus einen "tieferen Sinn" dazu assoziierst, dann sind das deine Gedanken, durchaus legitim, aber als solche zu nbenennen, nicht dem Dichter unterzuschieben.
Gruß
Christiane

Verfasst: 27. Okt 2006, 15:23
von Andrea
Es gibt in der neuen Kommentieren Ausgabe Rilkes sämtlicher Werke einen Kommentar, der die Grundlagen des Dinggedichts und des diesem zu Grunde liegenden 'Sachlichen Sagens' erklärt. Die Voraussetzung zum Dinggedicht hat Rilke unter anderem (über Lou Andreas-Salomé) aus der Phänomenologie genommen, was da eben hieße: aus der möglichst sachlichen, nüchternen Beschreibung, ganz ohne willentliches Hinzutun, tritt das Wesen einer Sache zum Vorschein. So ist das Dinggedicht zu verstehen. Was das dann im genauen noch weiter hieße, ist etwas komplizierter. Übrigens wäre es auch interessant, hierbei die Bedeutung dessen zu berücksichtigen, was Rilke selbst damals "Figur" genannt hatte.

Verfasst: 27. Okt 2006, 16:09
von leviathan
Übrigens wäre es auch interessant, hierbei die Bedeutung dessen zu berücksichtigen, was Rilke selbst damals "Figur" genannt hatte.
Klärt mich auf, ich weis leider nicht allzu viel über Rilke. Was hat er denn als Figur bezeichnet?
So langsam nähere ich mich auch der Sache, vielen Dank!

Wiederbelebung ("regeneration of life")

Verfasst: 13. Apr 2007, 07:13
von lilaloufan
Hier habe ich "zu-fällig" in der Osterwoche (!) einen Aufsatz gefunden, den ich für wirklich lesenswert halte: http://www.nthuleen.com/papers/150paper.html. Und ein früherer derselben Autorin in English: http://www.nthuleen.com/papers/940Brilke.html; dort wird der Akzent mehr auf den τυπος "Dinggedicht" gelegt.

Verfasst: 13. Apr 2007, 14:04
von stilz
Danke für diese links!!!

Ich verweise auf http://rilke.de/phpBB3/viewtopic.php?t=2472