Nun will ich noch belegen, was ich oben in
Posting 6630 andeute mit „in guter Gesellschaft“ sein: Nachdem Rilke in einem Brief an Heiligabend 1921 an Heygrodt schrieb: „Aber auch dieses Veröffentlichen… Nun, das bliebe für ein künftiges Mal.“, greift er den Gedanken 19 Tage später wieder auf:
«Nur so viel: Ich bin mir wohl bewusst, dass auch derjenige, mit dem eine biographisch-auslegende Darstellung sich beschäftigt, nur eine Stimme hat im Rate jener aufzufindenden Zusammenhänge; eine gewiss wesentlich zu berücksichtigende, aber nicht mehr. Indessen lege ich, der ich eine Neigung habe, alles, was dergleichen Auslegungen an den Tag bringen, zu ignorieren, keinen Wert darauf, diese Stimme zu gebrauchen; hat es mir doch immer geschienen, als dürfe unsereiner es für sein Eigentlichstes halten, das jeweils oder einst Tatsächliche durch eine höhere und reine Verwandlung endgültig zu ersetzen. […] Es war alles von vorneherein auf jene Verwandlung angelegt - [(…)]. Glauben Sie mir, ich wäre gerne bereit, ja es entspräche mir am meisten, jede neue Aufgabe meines Weges unter einem neuen Namen zu leisten, [- …]. Rodin, da ich, zur Zeit meiner ersten Versuche von seinem Werke Zeugnis zu geben, ihn nach seiner Kindheit und Jugend fragte, […] sagte kurzhin: „moi -? J’étais quelqu’un; ce n’est que plus tard que l’on commence à comprendre.“ Dieses Ausweichen enttäuschte mich, um meiner Arbeit willen, aber wie sehr, andererseits, konnte ich es begreifen. Möge ich eines Tages (ich habe keinen anderen Wunsch) so auf ein durchaus Geleistetes hinweisen dürfen, dass es für mich Rede stehe.
Wem, schließlich auch, tut es einen Dienst, wenn diese verbindenden Hülfslinien gezogen sind? Das Werk ist es - selbst doch nur, soweit es eben selbständig geworden ist, und die ergreifenden Kunstwerke Unbekannter, die sich erhalten haben, verlieren keineswegs an Wirkung und Dasein dadurch, dass wir sie mit den Schicksalen und Daten ihrer Urheber nicht verbinden können. Was aber diejenigen angeht, die einem Kunstding gegenüberstehen, dessen Hervorbringer noch vorhanden oder doch mindestens noch nachweisbar ist, so tut man ihnen einen viel zu billigen Gefallen, indem man sie über ihn aufklärt. Der indiskreten Publizität unserer Zeit [sic!] stehen allerdings Apparate zur Verfügung, den Autor hinter seinem Vorwande zu fassen und zu ermessen, und die Künstler selbst sind der handgreiflichsten Neugier in jeder Weise entgegen, ja zuvor gekommen. Man hat, scheint mir, die Gefahr nicht erkannt, die, mit dieser fortwährenden Bloßlegung des Schaffenden, über alle diejenigen gebracht ist, die noch im Werden sind, - oder vielleicht (es böse zu sagen) will man diese Gefahr, um endlich mit diesem überflüssigen métier fertig zu werden. Über solchen Aufdeckungen wird die Lage des Kunstwerks selbst immer problematischer. Das Publikum hat längst vergessen, dass es kein ihm angebotener Gegenstand ist, sondern ein in ein imaginäres Dasein und Dauern rein hingestellter, und dass sein Raum, eben dieser Raum seines Dauerns, nur scheinbar identisch ist mit dem Raume der öffentlichen Bewegungen und Umsätze. Eitelkeit des Produzierenden einerseits, auf der anderen Seite sein Weich- und Schwachwerden, indem er meinte, eine unmittelbare Hülfe und Heilkraft an die Bedürftigen mitzuteilen, haben ihn dazu gebracht, den Irrtum des Kunstempfängers fortwährend zu bestärken und zu komplizieren. Diesem Verhängnis gegenüber scheint es mir die allergrößte, ja dringendste Aufgabe der Kunstforschung zu sein, dem künstlerischen Werke seine besondere unbeschreibliche Situation zu schaffen, die ihm in früheren Zeiten durch das natürliche Vorhandensein zeitloserer, ausgesparter, dem Göttlichen vergönnter Stellen erleichtert war. Im Tempel, in der Kathedrale, ja in der Mitte einer Häuslichkeit, deren Herdstelle noch unwillkürlich, über die tägliche Nutzbarkeit hinaus, kraft ihres unendlichen Feuers, bedeutend war,: hatte das Kunst-Ding seine eigentümlich abgesonderte und doch in Alles (rascher vergängliche) hinüberwirkende Existenz. Wo ist sein Platz mitten im heutigen Gedräng? - […]
In einer solchen Zeit, wie der unsrigen, käme es [(…)] viel mehr darauf an, die Lage des Kunstwerkes gegen den Aufnehmenden hin sicherzustellen als seinen Zusammenhang mit dem Hervorbringer zu untersuchen, für den nächstens nichts dringender wird geworden sein, als dass man alle Aufmerksamkeit von ihm weglenkt und -- ihn gewähren lässt.“»
Dies zur Charakterisierung der Windmühlen, gegen die @helle @stilz @gliwi und @RMR wir angehen.
Nun hoffe ich, dass Thilo nicht das Forum schließt
l.
------------------------
2012-04-02: Link aktualisiert l.