Seite 1 von 1

Weites Land

Verfasst: 13. Jul 2005, 20:37
von Gisela
Hallo,

ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr mir sagen könntet, welche Bedeutung Hirten bei Rilke und in seinen Gedichten haben . Was bedeutet es, wenn ein Hirt erwähnt wird ?

Liebe Grüße von Gisela :lol:

Hirten

Verfasst: 14. Jul 2005, 00:46
von Volker
Hallo,

ganz spontan (ohne Recherche) würde ich sagen, daß wohl meistens die biblischen Hirten gemeint sind. Verallgemeinern möchte ich das zwar nicht, aber gibt es ein schöneres Bild für ein reines Gemüt, einen kindlichen Glauben (nicht abwertend gemeint, im Gegenteil: "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder...) als die Hirten auf dem Feld, denen nachts der Engel "große Freude verkündet"?

Verfasst: 14. Jul 2005, 21:06
von gliwi
Lieber Volker,
da fällt mir doch gleich mein alter, leider schon verstorbener Pfarrer ein, der in jeder Weihnachtspredigt erwähnte, dass (historisch richtig) die Hirten auf dem Felde damals in Bethlehem Räuber und Außenseiter waren, denen man besser aus dem Weg ging. :evil: Also gerade nicht reines Gemüt und kindliches Gefühl. Aber ich nehme mal an, Rilke hat das nicht gewusst. Jesus ist ja traditionell "der gute Hirte", dessen Schafe seine Stimme kennen. Und da gibt es ja auch noch den Psalm 23: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln..." Ja doch, von der Symbolik her hast du Recht.
Gruß
Christiane

Verfasst: 15. Jul 2005, 00:06
von Volker
Hallo gliwi!

Tja, die haben dann wohl nur die schwarzen Schafe gehütet :wink:

Gruß!
V.

Verfasst: 15. Jul 2005, 11:04
von Anna B.
Hallo Christiane, hallo Volker,

warum so theologisch ?

Eine ganze Menge Stoff gibts bei Rilke zu dem Thema ...

So heißt es zb auch in einem seiner Gedichte:

...So laß uns herrlich einen Baum vermuten,
der sich aus Riesenwurzeln aufwärtsstammt,
durch den unendlich Wind und Vögel fluten
und unter dem, in reinen Hirtenamt,
die Hirten sannen und die Herden ruhten.
Und daß durch ihn die starken Sterne blitzen,
macht ihn zur Maske einer ganzen Nacht.
Wer reicht aus ihm bis zu den Göttersitzen,
da uns sein Wesen schon nachdenklich macht?


Liebe Grüße von Anna :lol:

Verfasst: 15. Jul 2005, 11:34
von helle
Ich bezweifle mit Anna B., daß man eine allgemeine und vom Kontext unabhängige Antwort darauf geben kann, was das Wort "Hirte" besagt, ob in der Alltagssprache, in der Bibel, bei Rilke oder wem auch immer. Selbst ob der "Hirt" eine Metapher ist oder nicht, ist nicht immer offensichtlich. So heißt es bei Morgenstern:

"Der Mond, der ist kein guter Hirt,
huleiluluhuleilula"

Na - Gruß H.

Verfasst: 17. Jul 2005, 09:30
von Gisela
Hallo,

... ist ja interessant, was hier so alles zusammenkommt zu meiner Frage !

Wie ich auf das Thema gekommen bin ?

Im Kontext des Gedichts "Kindheit", in dem es heißt:

...Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt
und so mit großen Fernen überladen
und wie von weit berufen und berührt
und langsam wie ein langer neuer Faden
in jene Bilder-Folgen eingeführt,
in welchen nun zu dauern uns verwirrt.


Meine Frage, ob der Hirt bei Rilke in weiteren oder ähnlichen Zusammenhängen genannt wird . Er steht hier in diesem Gedicht im Gegensatz zum Kind ...

Liebe Grüße von Gisela :lol:

Verfasst: 19. Jul 2005, 18:35
von Paula
Hallo Gisela und alle Anderen hier,

noch ein weiteres "Hirten"-Zitat:

...Selbst in der Zeit, da die Armut ihn täglich mit neuen Härten erschreckte, da sein Kopf das Lieblingsding des Elends war und ganz abgegriffen, da sich überall an seinem Leibe Geschwüre aufschlugen wie Notaugen gegen die Schwärze der Heimsuchung, da ihm graute vor dem Unrat, auf dem man ihn verlassen hatte, weil er seinesgleichen war: selbst da noch, wenn er sich besann, war es sein größestes Entsetzen, erwidert worden zu sein. Was waren alle Finsternisse seither gegen die dichte Traurigkeit jener Umarmungen, in denen sich alles verlor. Wachte man nicht auf mit dem Gefühl, ohne Zukunft zu sein? Ging man nicht sinnlos umher ohne Anrecht auf alle Gefahr? Hatte man nicht hundertmal versprechen müssen, nicht zu sterben? Vielleicht war es der Eigensinn dieser argen Erinnerung, die sich von Wiederkunft zu Wiederkunft eine Stelle erhalten wollte, was sein Leben unter den Abfällen währen ließ. Schließlich fand man ihn wieder. Und erst dann, erst in den Hirtenjahren, beruhigte sich seine viele Vergangenheit. Wer beschreibt, was ihm damals geschah? Welcher Dichter hat die Überredung, seiner damaligen Tage Länge zu vertragen mit der Kürze des Lebens? Welche Kunst ist weit genug, zugleich seine schmale, vermantelte Gestalt hervorzurufen und den ganzen Überraum seiner riesigen Nächte.
Das war die Zeit, die damit begann, daß er sich allgemein und anonym fühlte wie ein zögernd Genesender. Er liebte nicht, es sei denn, daß er es liebte, zu sein. Die niedrige Liebe seiner Schafe lag ihm nicht an; wie Licht, das durch Wolken fällt, zerstreute sie sich um ihn her und schimmerte sanft über den Wiesen. Auf der schuldlosen Spur ihres Hungers schritt er schweigend über die Weiden der Welt. Fremde sahen ihn auf der Akropolis, und vielleicht war er lange einer der Hirten in den Baux und sah die versteinerte Zeit das hohe Geschlecht überstehen, das mit allem Erringen von Sieben und Drei die sechzehn Strahlen seines Sterns nicht zu bezwingen vermochte. Oder soll ich ihn denken zu Orange, an das ländliche Triumphtor geruht? Soll ich ihn sehen im seelengewohnten Schatten der Allyscamps, wie sein Blick zwischen den Gräbern, die offen sind wie die Gräber Auferstandener, eine Libelle verfolgt?...
(aus den "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" von R.M. Rilke, Kapitel 71)

Paula :lol:

Verfasst: 16. Mär 2007, 22:20
von Mona
ja - ein wahrhaft frühlingshaftes Gedicht :

Wie der Wächter in den Weingeländen
seine Hütte hat und wacht,
bin ich Hütte, Herr, in deinen Händen
und bin Nacht, o Herr, von deiner Nacht.

Weinberg, Weide, alter Apfelgarten,
Acker, der kein Frühjahr überschlägt,
Feigenbaum, der auch im marmorharten
Grunde hundert Früchte trägt:

Duft geht aus aus deinen runden Zweigen.
Und du fragst nicht, ob ich wachsam sei;
furchtlos, aufgelöst in Säften, steigen
deine Tiefen still an mir vorbei.

... und das noch nicht mal in Bilder-Rätseln gesprochen :wink:

Mona :lol: