Duino
Verfasst: 1. Jun 2003, 23:27
„Wer wird als erster im Forum vom Schloss berichten.“
Dieser Satz auf der Eingangsseite hat mich wie ein Blitz getroffen, als ich heute Abend nach einem anstrengenden Wochenendseminar nach Hause kam. Ich betrachte ihn als eine Aufforderung, endlich das zu schreiben, den einzigsten Grund zu nennen, warum ich mich in dieses Forum eingeschaltet habe.
Es fällt mir trotzdem sehr schwer und ich vertippe mich ständig, weil ich ziemlich zittere beim Schreiben. Es stört mich nicht, wenn vielleicht 98% derer, die das Folgende lesen, mich für verrückt erklären. Ich selbst weiß, dass es wahr ist und das genügt. Wer nur ein wenig Gespür für das entwickelt hat, was Rilke den „großen Bezug“ nannte, der wird wissen, dass ich nicht lüge. Was hätte ich auch davon?
Als ich mich Anfang März im Forum unter meinem eigentlichen Vornamen registrieren lassen wollte, hieß es, dass dieser Benutzername schon belegt sei. Ich versuchte es unter meinem zweiten Vornamen, aber die Registrierung schlug wieder fehl. Erst dann wählte ich spontan „Marie“, in der Überzeugung, dass es wieder daneben geht. Aber offensichtlich war es so gewollt, dass ich unter dem Vornamen registriert werde, den ich zwischen 1855 und 1934 hatte: Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe.
Es begann aus heiterem Himmel im September 2000, als ich völlig unvorbereitet plötzlich spürte, dass jemand, der mir sehr nahe gewesen sein musste, verstorben war (es war kein „wissendes“ Erinnern, sondern ein in aller Intensität emotionales Wiedererleben ohne konkreten Bezug wie Namen, Ort, Datum usw.). Trotzdem bezog ich dieses überwältigende Gefühl von Trauer spontan auf eine Person, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte und mir wurde erst in diesem Moment bewusst, wie nahe mir dieser Mensch auf einer seelischen Ebene tatsächlich war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich dies nämlich hartnäckig verdrängt. Auch das war im Rückblick berechtigt, wenn ich bedenke, wie viel Schmerz mit diesen Erinnerungen verbunden ist. Ihr könnt das anhand dessen, was in Büchern nachzulesen ist, nicht nachvollziehen, vieles ist auch falsch dargestellt und durch die persönlichen „Filter“ der jeweiligen Autoren hindurch verzerrt (ich nehme mich selbst dabei nicht heraus; einiges aus meinen, nach Rilkes Tod veröffentlichten „Erinnerungen“, sehe ich heute auch in einem anderen Licht, besonders was meine eigenen damaligen Verhaltensmuster anbelangt). Der Mensch, auf den ich dieses Todesgefühl bezogen hatte, lebte aber noch, wie ich durch meine eiligen Erkundigungen (natürlich immer unter irgendwelchen Vorwänden) erfuhr. Ich war völlig verwirrt. Ich hatte schon seit längerer Zeit merkwürdige Träume, mit denen ich nichts anfangen konnte. Plötzlich tauchte immer wieder der Name Rainer Maria Rilke auf und eines morgens nach einem weiteren unerklärbaren Traum hatte ich den Impuls, sofort in die nächste Buchhandlung zu fahren, um ein Buch von Rilke zu kaufen. Ich zog eines von etwa 10 Rilke-Büchern aus dem Regal, schlug es an einer x-beliebigen Stelle auf – und fand meinen Traum als Gedicht wieder: Rosa Hortensie! Ich bekam weiche Knie und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Als ich anfing von und über Rilke zu lesen, stellte sich heraus, dass einige meiner Träume ganze Passagen aus Büchern wieder gaben u. a. aus meinen „Erinnerungen an RMR“. Ich erinnerte mich an immer mehr Details aus meinem damaligen Leben (es gibt verblüffende Parallelen zu meiner jetzigen Inkarnation z. B. habe ich als Kind schon Märchen geschrieben und illustriert – so wie damals für meine Enkel), so dass eine Verwechslung oder ein Irrtum definitiv auszuschließen waren. Ich könnte endlos Beispiele aufführen, aber mir liegt nichts daran, irgend jemandem etwas zu beweisen. Doch, ein Beispiel möchte ich euch erzählen, weil es Duino betrifft. Und da das olle Schloss jetzt dafür verantwortlich ist, dass ich nicht länger versuche, mich zu verstecken, gehört das folgende Erlebnis auch hierher:
Vor 2 Jahren hatte ich ein Telefongespräch mit einem Musikprofessor, der vor etlichen Jahren als Jurymitglied eines internationalen Musikwettbewerbs einige Tage in Schloss Duino verbracht hatte. Ich erwähnte nur zurückhaltend, dass ich zu diesem Schloss eine besondere Beziehung hätte, als es auch schon aus ihm heraussprudelte: „Waren Sie vielleicht eine der beiden Damen, die mich nachts in meinem Zimmer besucht hatten?“ Ich musste spontan lachen. Diese Frage stellt man üblicherweise nicht einer wildfremden Frau, mit der man noch nie vorher ein Wort gewechselt hatte! Zudem konnte er ja nicht ahnen, dass ich sofort wusste, dass er von meinen damaligen Tanten, Raimondine und Polyxène Thurn, deren geisterhafte Gegenwart auch Rilke während seiner Aufenthalte in unserem Schloss oft wahrgenommen hatte, sprach. Erklärend fügt er dann auch schnell hinzu, dass es sich um zwei Geisterdamen gehandelt habe und er absolut sicher gewesen sei, das Fenster abends geschlossen zu haben, aber am Morgen habe es offen gestanden.
Um die Eindrücke zu verdauen, zog ich mich an diesem Abend alleine zurück. Ich hatte mich noch nicht richtig auf meiner Yogamatte hin gesetzt, als ich sofort Duino vor Augen hatte und sah, dass aus allen Fenstern (und das sind viele!) Hunderte von weißen Tauben aufstiegen. Ich wusste sofort, dass jede Taube eine meiner dort „gefangenen“ Erinnerungen symbolisierte. Diese Vision hatte eine sehr befreiende Wirkung und ich konnte Duino endlich loslassen. Aber das war noch nicht alles... Im nächsten Moment sah ich eine weiße Lichtsäule über dem Schloss und mir war intuitiv klar, dass es nun meine Aufgabe war, auch meine Tanten aus Schloss und Geisterdasein zu befreien. Ich spürte, wie die Erste ohne zu zögern auf meine Bitte in das Licht ging und nach „oben“ gezogen wurde. Etwas skeptisch fragte ich mich, ob ich vielleicht doch spinne und sagte laut: „Bist du wirklich oben angekommen?“ Daraufhin klopfte es zweimal laut und deutlich, ohne dass ich hätte lokalisieren können, von woher das Klopfen kam. Exakt das gleiche wiederholte sich mit der zweiten Tante.
Vor etwa zwölf Jahren sah ich in einem Traum den Mann, den ich jetzt zuerst mit der Todeserinnerung in Verbindung gebracht hatte. Er übergab mir einen Schlüsselbund mit der Bitte, etwas Vergessenes für ihn zu holen und verabschiedete sich (kurz später verloren wir uns übrigens tatsächlich für viele Jahre aus den Augen) Ich fand mit Hilfe der Schlüssel ein Kästchen mit Photos von einem Mann, der alleine in der Wüste stand. Direkt hinter ihm war ein Fluss – doch er war offensichtlich nicht in der Lage sich umzudrehen, um trinken zu können (Rilke hatte, wie ich erst kürzlich las, in einem Brief von der „Wüstenklarheit des Todesbewusstseins“ gesprochen!) Ich wusste damals nicht, dass es sich bei dem Mann auf den Photos im Traum um Rilke handelte (das weiß ich erst seit ich mich wieder erinnern kann und Bilder von Rilke in Biographien gesehen hatte). Er sah anders aus als heute, aber im Traum wusste ich trotzdem sicher, dass er identisch ist mit dem Menschen, den ich in diesem Leben kenne.
Nachdem ich die Bedeutung dieses Traums verstanden hatte, nahm ich brieflich wieder Kontakt auf, um mein Traumversprechen nach so langer Zeit endlich einzulösen und ihn zu erinnern, wer er war. Doch ich stieß auf eine undurchdringliche Mauer, die durch zahlreiche Fehler, die mir bei meinen immer verzweifelteren Versuchen, mich verständlich zu machen, unterliefen, nur noch dicker wurde. Ich fuhr schließlich zu ihm, um im direkten Kontakt eine Klärung herbeizuführen. Ohne es zu wissen, fuhren wir, von unterschiedlichen Stationen zusteigend, im selben Zug (mit dem er sonst nicht fährt, wie er mir später mitteilte), trafen uns aber weder im Zug noch am Bahnhof. Wir gingen am Zielort unterschiedliche Wege, ich ins Hotel, er vermutlich in seine Wohnung und trafen in der selben Minute an seinem Arbeitsplatz ein. Selbst bei genauest geplanter Terminabsprache, hätte man das so synchron sicher nicht hingekriegt! Aber der Mann, dem ich dort begegnete, wollte und konnte diesen Wink des Schicksals nicht erkennen. Alles um ihn herum war düster und er selbst kam mir vor wie das Licht schluckende Zentrum eines schwarzen Lochs. Erst später verstand ich, was sich abgespielt hatte: ich hatte weder den Mann, den ich noch vor 10 Jahren kannte, noch Rilke angetroffen. Die Person, die mir am Tisch halb abgewandt gegenüber saß, war nur ein Teil seiner Selbst, der „verlorene Sohn“, Malte, der unweigerlich auf den Tod zusteuerte und keine andere Perspektive mehr als möglichen Ausweg annehmen wollte. Vielleicht habe ich auch nicht das Recht gehabt, das von ihm zu erwarten. Vielleicht muss er seinen zurückgelassenen Seelenanteil bis zur letzten Konsequenz wieder integrieren, um – vielleicht – erst im Tod wieder ganz sein zu können...
Ich habe in den letzten zwei ein halb Jahren soviel Kraft in diese Aufgabe gesteckt, wollte unbedingt mein Versprechen halten, dass ich selbst schwer krank wurde. Erst jetzt, als ich sogar seinem möglichen Tod, den er einerseits herbei sehnt (und redet) und der ihm andererseits Angst macht, ins Auge schauen kann, ihn wirklich loslassen kann (was ich damals nicht geschafft hatte, ich flüchtete stattdessen in eine degenerative Krankheit, durch die ich letztendlich alle schmerzvollen Erinnerungen an Rilke auslöschen konnte und an der ich auch starb), taucht langsam wieder ein Lichtstreifen am Horizont auf. Ganz habe ich noch nicht aufgegeben, ich lasse der winzig kleinen Möglichkeit in meinem Herzen noch Raum, dass er alles Unerlöste (und das betrifft bei Weitem nicht nur seine Rilke-Inkarnation! Einige seiner Gedichte sind Erinnerungen an vergangene Leben mit ebenfalls tragischem Inhalt wie z. B. „Die Geschwister“ – eine wahrscheinlich unbewusste Erinnerung an Ereignisse vor 500 Jahren) noch im Leben erlösen kann. Aber wahrscheinlich mache ich mir da etwas vor und akzeptiere den Tod immer noch nicht vollkommen als „die andere Seite“ des Lebens.
Die Beiträge im Forum und der Austausch mit einigen von euch, hat viel dazu beigetragen, dass ich über mich selbst vieles erkannt habe und reflektieren konnte, so wie neue Muster entwickelt habe, die es möglich machen, den Todesautomatismus zu unterbrechen (ich hatte noch innerlich die Programmierung: „Sobald er stirbt, kann ich auch nicht mehr lange bleiben“, die über viele Inkarnationen geprägt wurde) Dafür bedanke ich mich ganz herzlich bei euch. Früher oder später werde ich sicher auch „Marie“ endlich sterben lassen können, damit ich wieder ganz im Jetzt ankommen kann. Ob ich dann weiterhin ins Forum komme, weiß ich noch nicht.
Ich wünsche euch alles Liebe
Dieser Satz auf der Eingangsseite hat mich wie ein Blitz getroffen, als ich heute Abend nach einem anstrengenden Wochenendseminar nach Hause kam. Ich betrachte ihn als eine Aufforderung, endlich das zu schreiben, den einzigsten Grund zu nennen, warum ich mich in dieses Forum eingeschaltet habe.
Es fällt mir trotzdem sehr schwer und ich vertippe mich ständig, weil ich ziemlich zittere beim Schreiben. Es stört mich nicht, wenn vielleicht 98% derer, die das Folgende lesen, mich für verrückt erklären. Ich selbst weiß, dass es wahr ist und das genügt. Wer nur ein wenig Gespür für das entwickelt hat, was Rilke den „großen Bezug“ nannte, der wird wissen, dass ich nicht lüge. Was hätte ich auch davon?
Als ich mich Anfang März im Forum unter meinem eigentlichen Vornamen registrieren lassen wollte, hieß es, dass dieser Benutzername schon belegt sei. Ich versuchte es unter meinem zweiten Vornamen, aber die Registrierung schlug wieder fehl. Erst dann wählte ich spontan „Marie“, in der Überzeugung, dass es wieder daneben geht. Aber offensichtlich war es so gewollt, dass ich unter dem Vornamen registriert werde, den ich zwischen 1855 und 1934 hatte: Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe.
Es begann aus heiterem Himmel im September 2000, als ich völlig unvorbereitet plötzlich spürte, dass jemand, der mir sehr nahe gewesen sein musste, verstorben war (es war kein „wissendes“ Erinnern, sondern ein in aller Intensität emotionales Wiedererleben ohne konkreten Bezug wie Namen, Ort, Datum usw.). Trotzdem bezog ich dieses überwältigende Gefühl von Trauer spontan auf eine Person, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte und mir wurde erst in diesem Moment bewusst, wie nahe mir dieser Mensch auf einer seelischen Ebene tatsächlich war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich dies nämlich hartnäckig verdrängt. Auch das war im Rückblick berechtigt, wenn ich bedenke, wie viel Schmerz mit diesen Erinnerungen verbunden ist. Ihr könnt das anhand dessen, was in Büchern nachzulesen ist, nicht nachvollziehen, vieles ist auch falsch dargestellt und durch die persönlichen „Filter“ der jeweiligen Autoren hindurch verzerrt (ich nehme mich selbst dabei nicht heraus; einiges aus meinen, nach Rilkes Tod veröffentlichten „Erinnerungen“, sehe ich heute auch in einem anderen Licht, besonders was meine eigenen damaligen Verhaltensmuster anbelangt). Der Mensch, auf den ich dieses Todesgefühl bezogen hatte, lebte aber noch, wie ich durch meine eiligen Erkundigungen (natürlich immer unter irgendwelchen Vorwänden) erfuhr. Ich war völlig verwirrt. Ich hatte schon seit längerer Zeit merkwürdige Träume, mit denen ich nichts anfangen konnte. Plötzlich tauchte immer wieder der Name Rainer Maria Rilke auf und eines morgens nach einem weiteren unerklärbaren Traum hatte ich den Impuls, sofort in die nächste Buchhandlung zu fahren, um ein Buch von Rilke zu kaufen. Ich zog eines von etwa 10 Rilke-Büchern aus dem Regal, schlug es an einer x-beliebigen Stelle auf – und fand meinen Traum als Gedicht wieder: Rosa Hortensie! Ich bekam weiche Knie und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Als ich anfing von und über Rilke zu lesen, stellte sich heraus, dass einige meiner Träume ganze Passagen aus Büchern wieder gaben u. a. aus meinen „Erinnerungen an RMR“. Ich erinnerte mich an immer mehr Details aus meinem damaligen Leben (es gibt verblüffende Parallelen zu meiner jetzigen Inkarnation z. B. habe ich als Kind schon Märchen geschrieben und illustriert – so wie damals für meine Enkel), so dass eine Verwechslung oder ein Irrtum definitiv auszuschließen waren. Ich könnte endlos Beispiele aufführen, aber mir liegt nichts daran, irgend jemandem etwas zu beweisen. Doch, ein Beispiel möchte ich euch erzählen, weil es Duino betrifft. Und da das olle Schloss jetzt dafür verantwortlich ist, dass ich nicht länger versuche, mich zu verstecken, gehört das folgende Erlebnis auch hierher:
Vor 2 Jahren hatte ich ein Telefongespräch mit einem Musikprofessor, der vor etlichen Jahren als Jurymitglied eines internationalen Musikwettbewerbs einige Tage in Schloss Duino verbracht hatte. Ich erwähnte nur zurückhaltend, dass ich zu diesem Schloss eine besondere Beziehung hätte, als es auch schon aus ihm heraussprudelte: „Waren Sie vielleicht eine der beiden Damen, die mich nachts in meinem Zimmer besucht hatten?“ Ich musste spontan lachen. Diese Frage stellt man üblicherweise nicht einer wildfremden Frau, mit der man noch nie vorher ein Wort gewechselt hatte! Zudem konnte er ja nicht ahnen, dass ich sofort wusste, dass er von meinen damaligen Tanten, Raimondine und Polyxène Thurn, deren geisterhafte Gegenwart auch Rilke während seiner Aufenthalte in unserem Schloss oft wahrgenommen hatte, sprach. Erklärend fügt er dann auch schnell hinzu, dass es sich um zwei Geisterdamen gehandelt habe und er absolut sicher gewesen sei, das Fenster abends geschlossen zu haben, aber am Morgen habe es offen gestanden.
Um die Eindrücke zu verdauen, zog ich mich an diesem Abend alleine zurück. Ich hatte mich noch nicht richtig auf meiner Yogamatte hin gesetzt, als ich sofort Duino vor Augen hatte und sah, dass aus allen Fenstern (und das sind viele!) Hunderte von weißen Tauben aufstiegen. Ich wusste sofort, dass jede Taube eine meiner dort „gefangenen“ Erinnerungen symbolisierte. Diese Vision hatte eine sehr befreiende Wirkung und ich konnte Duino endlich loslassen. Aber das war noch nicht alles... Im nächsten Moment sah ich eine weiße Lichtsäule über dem Schloss und mir war intuitiv klar, dass es nun meine Aufgabe war, auch meine Tanten aus Schloss und Geisterdasein zu befreien. Ich spürte, wie die Erste ohne zu zögern auf meine Bitte in das Licht ging und nach „oben“ gezogen wurde. Etwas skeptisch fragte ich mich, ob ich vielleicht doch spinne und sagte laut: „Bist du wirklich oben angekommen?“ Daraufhin klopfte es zweimal laut und deutlich, ohne dass ich hätte lokalisieren können, von woher das Klopfen kam. Exakt das gleiche wiederholte sich mit der zweiten Tante.
Vor etwa zwölf Jahren sah ich in einem Traum den Mann, den ich jetzt zuerst mit der Todeserinnerung in Verbindung gebracht hatte. Er übergab mir einen Schlüsselbund mit der Bitte, etwas Vergessenes für ihn zu holen und verabschiedete sich (kurz später verloren wir uns übrigens tatsächlich für viele Jahre aus den Augen) Ich fand mit Hilfe der Schlüssel ein Kästchen mit Photos von einem Mann, der alleine in der Wüste stand. Direkt hinter ihm war ein Fluss – doch er war offensichtlich nicht in der Lage sich umzudrehen, um trinken zu können (Rilke hatte, wie ich erst kürzlich las, in einem Brief von der „Wüstenklarheit des Todesbewusstseins“ gesprochen!) Ich wusste damals nicht, dass es sich bei dem Mann auf den Photos im Traum um Rilke handelte (das weiß ich erst seit ich mich wieder erinnern kann und Bilder von Rilke in Biographien gesehen hatte). Er sah anders aus als heute, aber im Traum wusste ich trotzdem sicher, dass er identisch ist mit dem Menschen, den ich in diesem Leben kenne.
Nachdem ich die Bedeutung dieses Traums verstanden hatte, nahm ich brieflich wieder Kontakt auf, um mein Traumversprechen nach so langer Zeit endlich einzulösen und ihn zu erinnern, wer er war. Doch ich stieß auf eine undurchdringliche Mauer, die durch zahlreiche Fehler, die mir bei meinen immer verzweifelteren Versuchen, mich verständlich zu machen, unterliefen, nur noch dicker wurde. Ich fuhr schließlich zu ihm, um im direkten Kontakt eine Klärung herbeizuführen. Ohne es zu wissen, fuhren wir, von unterschiedlichen Stationen zusteigend, im selben Zug (mit dem er sonst nicht fährt, wie er mir später mitteilte), trafen uns aber weder im Zug noch am Bahnhof. Wir gingen am Zielort unterschiedliche Wege, ich ins Hotel, er vermutlich in seine Wohnung und trafen in der selben Minute an seinem Arbeitsplatz ein. Selbst bei genauest geplanter Terminabsprache, hätte man das so synchron sicher nicht hingekriegt! Aber der Mann, dem ich dort begegnete, wollte und konnte diesen Wink des Schicksals nicht erkennen. Alles um ihn herum war düster und er selbst kam mir vor wie das Licht schluckende Zentrum eines schwarzen Lochs. Erst später verstand ich, was sich abgespielt hatte: ich hatte weder den Mann, den ich noch vor 10 Jahren kannte, noch Rilke angetroffen. Die Person, die mir am Tisch halb abgewandt gegenüber saß, war nur ein Teil seiner Selbst, der „verlorene Sohn“, Malte, der unweigerlich auf den Tod zusteuerte und keine andere Perspektive mehr als möglichen Ausweg annehmen wollte. Vielleicht habe ich auch nicht das Recht gehabt, das von ihm zu erwarten. Vielleicht muss er seinen zurückgelassenen Seelenanteil bis zur letzten Konsequenz wieder integrieren, um – vielleicht – erst im Tod wieder ganz sein zu können...
Ich habe in den letzten zwei ein halb Jahren soviel Kraft in diese Aufgabe gesteckt, wollte unbedingt mein Versprechen halten, dass ich selbst schwer krank wurde. Erst jetzt, als ich sogar seinem möglichen Tod, den er einerseits herbei sehnt (und redet) und der ihm andererseits Angst macht, ins Auge schauen kann, ihn wirklich loslassen kann (was ich damals nicht geschafft hatte, ich flüchtete stattdessen in eine degenerative Krankheit, durch die ich letztendlich alle schmerzvollen Erinnerungen an Rilke auslöschen konnte und an der ich auch starb), taucht langsam wieder ein Lichtstreifen am Horizont auf. Ganz habe ich noch nicht aufgegeben, ich lasse der winzig kleinen Möglichkeit in meinem Herzen noch Raum, dass er alles Unerlöste (und das betrifft bei Weitem nicht nur seine Rilke-Inkarnation! Einige seiner Gedichte sind Erinnerungen an vergangene Leben mit ebenfalls tragischem Inhalt wie z. B. „Die Geschwister“ – eine wahrscheinlich unbewusste Erinnerung an Ereignisse vor 500 Jahren) noch im Leben erlösen kann. Aber wahrscheinlich mache ich mir da etwas vor und akzeptiere den Tod immer noch nicht vollkommen als „die andere Seite“ des Lebens.
Die Beiträge im Forum und der Austausch mit einigen von euch, hat viel dazu beigetragen, dass ich über mich selbst vieles erkannt habe und reflektieren konnte, so wie neue Muster entwickelt habe, die es möglich machen, den Todesautomatismus zu unterbrechen (ich hatte noch innerlich die Programmierung: „Sobald er stirbt, kann ich auch nicht mehr lange bleiben“, die über viele Inkarnationen geprägt wurde) Dafür bedanke ich mich ganz herzlich bei euch. Früher oder später werde ich sicher auch „Marie“ endlich sterben lassen können, damit ich wieder ganz im Jetzt ankommen kann. Ob ich dann weiterhin ins Forum komme, weiß ich noch nicht.
Ich wünsche euch alles Liebe