Hallo,
hier die Gedichte fürs Forum:
ICH gehe unter roten Zweigen
und suche einen späten Strauß.
Weiß nicht vor Glück wo ein und aus,
mir ist so neu, mir ist so eigen;
mein Lieb ist müd und ist zu Haus.
Jetzt ist mein Mädel erst recht eitel,
seit sich sein Mieder weiter zieht,
und seit ein Wunder ihm geschieht:
Bald hat es breite braune Scheitel
und sitzt und singt ein Wiegenlied.
LEISE weht ein erstes Blühn
von den Lindenbäumen,
und, in meinen Träumen kühn,
seh ich dich im Laubengrün
hold im ersten Muttermühn
Kinderhemdchen säumen.
Singst ein kleines Lied dabei,
und dein Lied klingt in den Mai:
Blühe, blühe, Blütenbaum,
tief im trauten Garten.
Blühe, blühe, Blütenbaum,
meiner Sehnsucht schönsten Traum
will ich hier erwarten.
Blühe, blühe, Blütenbaum,
Sommer wird dirs zahlen.
Blühe, blühe, Blütenbaum.
Schau, ich säume einen Saum
hier mit Sonnenstrahlen.
Blühe, blühe, Blütenbaum,
balde kommt das Reifen.
Blühe, blühe, Blütenbaum.
Meiner Sehnsucht schönsten Traum
lehr mich ihn begreifen.
Singst ein kleines Lied dabei,
und dein Lied ist lauter Mai.
Und der Blütenbaum wird blühn,
blühn vor allen Bäumen,
sonnig wird dein Saum erglühn.
Und verklärt im Laubengrün
wird dein junges Muttermühn
Kinderhemdchen säumen.
Diese Gedichte stammen aus Rilkes "Advent"-Gedichten. Diese wurden zuerst veröffentlicht in: Neuland. Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Literatur und Kunst, Berlin, Jg. 2, 1898, T. 1, S. 406/407. Entstanden sind sie 1896 in München.
Barbara
