Interpretation von Dein Garten wollt ich sein zuerst

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

hamster
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Registriert: 7. Jan 2006, 13:20

Beitrag von hamster »

Hallo zusammen

In diesem Forum ist ja einiges gegangen, seit ich zum letzten Mal hier war... Meine Prüfung am Montag ist jedenfalls sehr gut ausgegangen, hatte eine 5.25 (Schweizer-Notenwertung), das müsste wohl ne 2- sein bei euch in Deutschland :)
Vielen herzlichen Dank für eure spontane, fachmännische/fachfrauliche Hilfe (wenn wir wieder auf männliche und weibliche Reime zu sprechen kommen)!!! :D Finde es toll, dass aus meiner Frage schon ein richtiger Thread geworden ist... weiter so!
Thanks, hamster
Harald
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Registriert: 28. Dez 2005, 23:47

Beitrag von Harald »

Kennst du eigentlich das berühmte Gedicht "Der Hamster" von Rilke?

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Gitter
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Gitter gäbe
und hinter tausend Gittern keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig kleiner Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
hamster
Beiträge: 5
Registriert: 7. Jan 2006, 13:20

Beitrag von hamster »

naja... von "Der Hamster" hab ich noch nie was gehört, aber der text dazu kommt mir verdächtig bekannt vor... :P
Den hab ich schon mal irgendwo gelesen, wenn ich doch nur wüsste wo! War das in der Schule? Im Deutschunterricht? Genau!!! Es ging da auch um Lyrik und wir mussten dieses Gedicht auseinandernehmen, analysieren und uns vorstellen, wenn wir so ein "Hamster" wären, wie das wohl sein würde...

Naja, ich hoffe, dass jetzt nur keiner von mir denkt, ich wisse wirklich nicht wie das Gedicht heisst... :)

Schönen Abend! CYA
Deni

Beitrag von Deni »

Wenn sich die Seite http://rainer-maria-rilke.de/#GebetederMaedchenzuMaria nicht täuscht, dann liegt ihr mit eurer Interpretation an der wahren Intention Rilkes weit daneben.
Das Gedicht gehört zu dem Band "Gebete der Mädchen zu Maria" und mit diesem Hintergrund ist da keine Affäre oder so gemeint.

Grüße
Denis
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo Denis,

vielen Dank für diesen Hinweis!!
Ich hab gerade hier unter "Gedichte" nachgeschaut, auch da steht das Gedicht in diesem Zusammenhang... hätte ich gleich machen sollen, aber ich war stattdessen dem link im ersten Beitrag gefolgt, und da gab es keine genauere Angabe dazu.

So gesehen lese ich es natürlich gleich ganz anders, und endlich wird es mir klarer.

Mir gefiel ja diese "how to leave your lover"-Idee ohnehin nicht sehr.

Liebe Grüße, und danke nochmal!

stilz
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Na, da haben wir wohl wieder was gelernt. :( Diese Marienverehrung ist nicht so mein Gebiet, das gebe ich gerne zu. Aber Hauptsache, unser Hamster hat gute Noten in seine Bäckchen eingeheimst. Anscheinend hat seinen Prüfern die Interpretation doch ein wenig eingeleuchtet. (Oder sie wussten es auch nicht :wink: )
Gruß
gliwi
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helle
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Beitrag von helle »

Was ändert sich eigentlich, frage ich so in die Mittagspause, wenn man weiß, daß das Gedicht Teil einer ganzen Gruppe von Gedichten ist, und die sind an die Jungfrau Maria gerichtet?

Hat man jetzt mehr Eindeutigkeit, weil man mehr über die sogenannte Autorintention weiß und besser zu wissen glaubt, wen der Autor anspricht? Vermutlich - das "du" und "dir" und "dein" bezieht man jetzt auf die Jungfrau Maria. Der Deutungsspielraum ist also enger, was man auch als Verlust betrachten kann, aber das sind ziemlich weit reichende Fragen. Ich will nur einwenden, daß ein Gedicht sich meist nicht einfach in der Absicht seines Verfassers erschöpft, sondern am Tag seiner Veröffentlichung so etwas wie ein Eigenleben beginnt und mit dieser Veröffentlichung auch seinen Lesern gehört. Außerdem habe ich immer mal Probleme mit Texten, zu denen sozusagen eine Gebrauchsanweisung gehört und bei denen man nicht ohne Hintergrundwissen auskommt (hier: Gedicht ist Teil einer Gedichtgruppe, die an Jungfer Marie gerichtet ist).

Nun weiß ich das aber mal, und in diesem Fall ändert sich auch mein Verständnis, ob ich das will oder nicht – z.B. beim Wort "muttermatten", das mir vorher rätselhaft war. Aha, sage ich mir, Mutter Maria also, nichts Erotisches, Schönheit und Lächeln, alles politisch korrekt. Und dann sage ich mir schnell noch, da meine Minuten verrinnen, aber genau das kündigt der Autor ja wohl auf. Er will ja lieber die Farbe rot. Und dabei erinnere ich mich an die Worte von Gliwi: "Die weißen Beete sind die unschuldigen, die roten die der Liebe und des Lebens. Könnte heißen, er will jetzt nicht mehr nur platonisch lieben und verehren, sondern konkret. Deswegen lässt er die "muttermatte" im weißen Beet stehen und wendet sich dem roten - der körperlichen Liebe - zu."

Das wäre ja dann aber gerade unter der Marien-Perspektive zutreffend. So weit daneben liegt das also nicht, wie Denis meint. Das Verstehen kann auch richtig sein, wenn die Voraussetzung nicht mitgeliefert wird. Und das beruhigt doch irgendwie

helle
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo,

also, für mich verändert sich schon auch noch was anderes.
Daß "muttermatt" Assoziationen erweckt, die gar nicht so weit weg sind von der Mutter Maria, ist schon klar.
Aber das "lyrische Ich", oder der Sprecher dieses Gedichtes, das verändert sich doch sehr, wenn ich weiß, daß es sich um eines der Gebete der Mädchen an Maria handelt...

Rilke scheint also in die Rolle eines Mädchens zu schlüpfen, und damit ist wohl ursprünglich nicht eine erotische Phantasie zu der "Muttermatten" geschildert, sondern eher sowas wie Verehrung eines Idols, eines Vorbildes, so wie Maria sollte man es auch machen, und weiß und unschuldig bleiben...
Nun, und dann erkennt dieses Mädchen, daß es auch noch was "Rotes" geben könnte im Leben, und dieses "Rote" gewinnt an Attraktivität, und sie wird fürderhin vermutlich doch nicht so ganz auf den Spuren Mariens wandeln...


oder so ähnlich.

Nach wie vor "interpretiere" ich nicht gern, denn ich finde, Rilke sagt das alles viel schöner und läßt den Gedanken und Gefühlen viel mehr Spielraum, auch und gerade weil sich diese Gedanken und Gefühle dann manchmal ins Vage verlieren...

Bei diesem Gedicht wäre ich aber wirklich etwas "angestanden", ohne zu wissen, zu welcher Gruppe es gehört!


Liebe Grüße

stilz
stilz
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Beitrag von stilz »

Ich finde es grad witzig, daß für mich also die größte Änderung darin zu liegen scheint, daß das "Ich", das hier zu mir spricht, nicht männlich, sondern weiblich ist... und daß ich das grad als Antwort auf einen Beitrag von Dir, helle, schreibe...

Nochmal lieben Gruß!

stilz
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Also ich finde, das Herumtappen zwischen den Beeten - das passt schon mehr zu einem ziemlich jungen Mädchen als zu einem (entschuldige, e.u.) männlichen Twen. Es kam mir gleich ein wenig "unmännlich" vor. Andererseits, dass ein 22jähriger sich beim Dichten in die Rolle eines, sagen wir mal 10jährigen Mädchens versetzt, liegt nicht gerade auf der Hand. Nun ist eine Überschrift, unter der mehrere Gedichte zusammengefasst sind, für mich noch keine "Gebrauchsanweisung". Ich habe jedenfalls gelernt: ein paar Seiten zurückblättern bei titellosen Gedichten, vielleicht gibt es doch einen Titel. :? Aber dafür sind wir ja auch zusammen in diesem Forum: dass wir uns gegenseitig die Dinge erhellen.
Gruß
gliwi
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Gast

Beitrag von Gast »

Hi,

wieso heisst es: Dein Garten wollt ich sein zuerst ? Und dann ... ???

Moni :lol:
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo Moni,

diese Deine Frage überrascht mich jetzt wirklich - hast Du nicht gelesen, was bisher schon alles gesagt wurde?
Also schön, dann stellen wir den Text endlich mal hierher:

Dein Garten wollt ich sein zuerst
und Ranken haben und Rabatten
und deine Schönheit überschatten,
damit du mit dem muttermatten
Lächeln gern mir wiederkehrst.

Da aber - als du kamst und gingst,
ist etwas mit dir eingetreten:
das ruft mich zu den roten Beeten,
wenn du mir aus den weißen winkst.

Aus: Die frühen Gedichte (Gebet der Mädchen zur Maria)


Deine Frage nach "und dann...???" hat zu tun mit dem "Da aber" der zweiten Strophe - ich möchte jetzt nicht nochmal spekulieren, was da "mit dir eingetreten" sein könnte... dazu gibt es weiter oben einige Gedanken, und wenn Du magst, kannst Du Dir auch noch eigene dazu machen...
Ich persönlich finde es ja schön, daß Rilke das eben gerade nicht konkreter und genauer ausdrückt, als er es tut!

Lieben Gruß

stilz
Harald
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Registriert: 28. Dez 2005, 23:47

Beitrag von Harald »

Schau, unsre Tage sind so eng

Schau, unsre Tage sind so eng
und bang das Nachtgemach;
wir langen alle ungelenk
den roten Rosen nach.

Du musst uns milde sein, Marie,
wir blühn aus deinem Blut,
und du allein kannst wissen, wie
so weh die Sehnsucht tut;

du hast ja dieses Mädchenweh
der Seele selbst erkannt:
sie fühlt sich an wie Weihnachtsschnee,
und steht doch ganz in Brand...

5.5.1898, Florenz (Cascine)

Dieses Gedicht, das vorher in diesem Zyklus steht, ist wohl ein Schlüssel für die Farbsymbolik.
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
Moni

Beitrag von Moni »

Hi,

wie könnt Ihr was von Garten sagen, wenn überall der Schnee die Landschaft weiß gestaltet ? Oh, mir wird so kalt . Ich freu mich schon auf den Sommer, die Garten- und bunte Blumenpracht ..., wenn es wieder wärmer wird ...

Moni :lol:

ps.: heute haben die Kinder einen Schneemann gebaut, der hat eine ganz rote Nase :wink:
Gast

Beitrag von Gast »

Hat Rilke extra für dich geschrieben!

du hast ja dieses Mädchenweh
der Seele selbst erkannt:
sie fühlt sich an wie Weihnachtsschnee,
und steht doch ganz in Brand...
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