jetzt reifen schon ...

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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desire
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jetzt reifen schon ...

Beitrag von desire »

Hallo, ich brauch unbedingt eure Hilfe!

Ich muss bis donnerstag die gedichte "blaue hortensie" und "jetzt reifen schon.." miteinander vergleichen!
Ich bin davon ausgegangen, dass beides Dinggedichte sind. In dem Gedicht "blaue hortensie" ist das "ding" die blaue hortensie selber, und als ich das gedicht "jetzt reifen schon.." gelesen hab, bin ich anfangs davon ausgegeangen, dass in dem gedicht die roten berberitzen das "ding" sein sollen. Aber eigentlich, wenn man sich das dann nochmal durchliest, geht es ja um die personen ("wer seine augen jetzt nicht schließen kann...") also ich meine die berberitzen werden ja nur anfangs erwähnt und dann geht es nicht mehr wirklich um die beeren und ich glaub nicht das sie das " ding " sind, aber ich kann mir auch nicht erklären was es sonst sein soll!?
Noch eine andere Frage: Die astern, stehen die poetisch für die vergänglichkeit?

Ich hoffe ihr könnt mir helfen! Danke schon mal!
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Hallo desire,
ja, richtig, Astern sind im Volksmund "Friedhofsblumen", also auf jeden Fall mit dem Gedanken an Vergänglichkeit verbunden.
Nein, ein Dinggedicht ist das nicht. Aber du hast ja schon das Hauptthema: Vergänglichkeit. Dann wird hier jemand aufs Allgemeinste beschrieben: Wer jetzt nicht... Dazu ist dann zu ergänzen: Wer jetzt... - wie Negativ und Positiv. Und dieser Wer -jetzt, dem könnte die Vergänglichkeit nicht viel anhaben, aber den Wer-jetzt-nicht, den "zieht sie runter". (So drastisch darfst du das aber nicht schreiben.)Ich hoffe, das hilft weiter!
Gruß
gliwi
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desire
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Beitrag von desire »

ganz großes DANKE schon mal gliwi!!
aber eine Frage hätt ich da noch, welche Rolle spielen denn die roten berberitzen denn dann in dem gedicht?
helle
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Beitrag von helle »

Solche Wörter wie "unbedingt" und "dringend" sind zwar nervtötend, weil sie so ein Gefühl von Klempner-Notdienst vermitteln, aber es zwingt einen ja niemand, darauf zu reagieren, wie ich es jetzt tue oder gliwi getan hat.

Davon abgesehen finde ich auch den Begriff "Dinggedicht" irgendwie doof, ein Begriff, den Rilke selbst bekanntlich nicht gebraucht hat und der für einen großen Teil der so klassifizierten Gedichte, also den Sammlungen der "Neuen Gedichte" und der "Neuen Gedichte anderer Teil" von 1907 und 1908 auch nur schubladenhaft zutrifft und in der Regel mehr verdunkelt als erhellt.

Richtiger fände ich, die Wendung, die Rilkes Dichtung in diesen Sammlungen nimmt, mit dem Wort vom "sachlichen Sagen" zu bezeichnen, weil sich darin die Änderung von der Subjektivität der vorangegangenen Bücher (auch des "Stundenbuchs") zum Versuch der "Neuen Gedichte" ausspricht, die Welt mit den Mitteln des Gedichtes genauer, konkreter und objektiver zu erfassen, so wie Rilke es bei Rodin gesehen und gelernt hat.

"Jetzt reifen schon die roten Berberitzen" ist ein Gedicht aus dem "Stundenbuch", also vor der Zeit der sogenannten Dinggedichte, und damit haben die Zweifel daran, daß es ein Dinggedicht ist, ja auch zu tun. Um die Berberitzen geht es in der Tat nicht, sie sind nur ein Symptom des Herbstes, also eines ganz bestimmten Zeitpunktes im Jahr, und dieser Zeitpunkt wird gewissermaßen auf den Menschen projiziert, so daß es eine Analogie des Jahresverlaufs und der menschlichen Verfassung gibt. Ganz ähnlich, bis in die sprachlichen Fügungen hinein, ist das bei Rilkes berühmtem "Herbsttag" ("Herr, es ist Zeit"), den er in die zweite Auflage des "Buchs der Bilder" aufgenommen hat.

Hier handelt es sich also um einen Seelenzustand, eine Bewußtseinslage, eine Krise des Subjekts – (wobei es Rilke bei aller Unbehaustheit weniger um die eigene Person geht, wie die Form der dritten Person Singular zeigt). Im Hortensiengedicht dagegen geht es um den präzisen poetischen Ausdruck der Sache (wenn man die Hortensie überhaupt so nennen will). Das ist schon ein sichtbarer Schwenk von der Innen- zur Außenperspektive; während hier die Berberitzen nur Anlaß des eigentlichen Gedichtthemas sind, dem krisenhaften Ich, steht dort die Hortensie selbst im Mittelpunkt des Gedichts (zumindest scheinbar) und alle Bilder, die Rilke bemüht, um sie ins rechte Licht zu rücken, brechen und spiegeln sich in ihr.

Das ist das eine, ein thematisch Unterschied und Unterschied in der Perspektive, ein anderer Unterschied betrifft die formale Qualität, von der ich behaupten würde, daß sie ähnlich groß ist und daß da, wo das Berberitzen-Gedicht noch ungelenk und holperig ist (vor allem in der mittleren Strophe), die "Blaue Hortensie" schon Rilkes ganze Meisterschaft und Formvollendung zeigt.

So viel für heute Abend
von Helle
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Ja, desire,,
ich denke auch, du solltest nicht an den roten Berberitzen hängenbleiben. Sie sind hier hauptsächlich ein Farbsignal und kündigen den Winter an - Herbst ist ja schon. Sonst noch ein paar Assoziationen: Herb, giftig, stachelig, Vogelnahrung im Winter. Rot ist die Farbe des Lebens, warm, kräftig - ein Kontrast zu den "alternden Astern" (ein schwaches Bild, könnte um der Alliteration willen entstanden sein), die ich mir stumpfweiß vorstelle.
@ helle: Warum ich hier sofort geantwortet habe: es wurden ganz konkrete Fragen gestellt, nicht eine brandeilige Komplett-Interpretation "in Auftrag gegeben". Wir sind uns wohl einig: Hilfestellung d'accord, Aufgaben übernehmen - nein danke.
Gruß
gliwi
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desire
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Beitrag von desire »

danke gliwi und helle, das ihr mir trotz meiner eher unpassenden formulierung geschrieben habt! ihr wart wirklich eine große hilfe!werd mich dann jetzt mal an meine interpretation setzen...

Liebe grüße
stilz
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Beitrag von stilz »

Auch wenn schon sehr vieles gesagt worden ist, möchte ich noch etwas hinzufügen, denn wenn ich so etwas lese:
gliwi hat geschrieben:"alternden Astern" (ein schwaches Bild, könnte um der Alliteration willen entstanden sein),
dann scheint in mir etwas aufzubegehren :wink: , Rilke mag ja manchmal ein bisserl "holperig" gedichtet haben :wink:, aber etwas um der Alliteration oder des Reimes Willen zu schreiben, das sieht ihm gar nicht ähnlich, finde ich.

Die "alternden Astern" im Gegensatz zu den reifenden "roten Berberitzen"...
Da gibt es noch einen, wie ich finde, im Zusammenhang dieses Gedichts bedeutenden Unterschied:
Die Astern haben geblüht, und nun verwelken sie, "atmen schwach im Beet" - von einer Frucht ist nicht die Rede; natürlich müssen auch Astern irgendeine Art von Frucht haben und werden sich wohl auch aussamen, dennoch: bei Astern denkt man in erster Linie an die Blüte.

Dazu fällt mir das Gedicht "Im Saal" ein (aus den "Neuen Gedichten"), da heißt es:
...Sie wollten blühn,
und blühn ist schön sein; doch wir wollen reifen,
und das heißt dunkel sein und sich bemühn.


Um diese verschiedenen Möglichkeiten, sein Leben zu leben, scheint es mir auch im "Berberitzen"-Gedicht zu gehen. Wer im Sommer nicht nur schwelgend geblüht, sondern auch "Reichtum" gesammelt hat, wohl indem er auch "dunkel" war und sich "bemühte" (Goethes "Metamorphose der Pflanze" fällt mir ein, der den Pflanzen selbstverständliche und für Wachstum, Blühen und Fruchten notwendige Wechsel zwischen "Ausdehnung" und "Zusammenziehung") --- der wird nun, im Herbst, dadurch belohnt, daß er "sich besitzt", und eine "Fülle von Gesichten", die ihm das winterliche Dunkel erhellen...

Lieben Gruß aus Novemberdunkel...

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Hallo Ingrid,
bei einer Blume von "Altern" zu sprechen, scheint mir nicht so ganz passend. Andererseits gibt es die "welkende Aster" wahrscheinlich schon öfter in der Poesie... Da wollte er eben was Neues finden. Ich finde das Bild nicht gelungen.
Aber dieser Gedanke mit dem Blühen und Reifen, das überzeugt mich. Die Astern-"Frucht" ist ja nicht gerade ahnsehnlich, was man von der Berberitzen-Blüte ebenfalls sagen kann. Gut, dass du die Referenz-Stelle parat hattest, jetzt ergibt das Ganze wirklich Sinn.
Gruß
gliwi
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helle
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Beitrag von helle »

Ich halte es nicht für einen Fehler des Dichters, wenn etwas "um des Reimes willen" oder um einer Alliteration oder welchen rhetorischen Figur auch immer geschrieben ist.

Wie gliwi hatte ich diesen Eindruck bei den "alternden Astern" ("atmen schwach") – hätte Rilke von Wicken gesprochen, hätte er wahrscheinlich "welkende" gesagt. Als ginge es in Gedichten immer nur um die formale Umsetzung einer Aussage und wären sie nicht zugleich ein offenes Spiel mit den Formen. Daran finde ich nichts Anstößiges, auch wenn der junge Rilke vieles ins nur Spielerische, Ornamentale hin überzieht, gerade mit den Alliterationen.

Ich halte den Reim in erster Linie für ein produktionsstimulatives Phänomen, er erzeugt Zusammenhänge, die sich außerhalb des Gedichtes so nicht zeigen würden. Das soll kein Freibrief für anything goes sein. Z.B. glaube ich, daß die Vergangenheitsform "begann" in den Zeilen

Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann,
gewiß, daß eine Fülle von Gesichten
in ihm nur wartet bis die Nacht begann,

auch dem Reim geschuldet ist und empfinde diese (einzige) Vergangenheitsform des Gedichts eher als Verlegenheitslösung. Wie ich im Moment aber nur behaupten und nicht darlegen kann.

Grüße , helle
stilz
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Beitrag von stilz »

Einerseits hast Du sicherlich recht, helle, und es ist kein "Fehler", Reime oder sonstige rhetorische Figuren als Stimulus für die Inspiration zu nehmen.
Das Imperfekt "begann" empfinde auch ich als dem Reim gehorchend.
Aber ist das denn wirklich dasselbe wie "etwas um der rhetorischen Figur willen" zu schreiben?

Wenn das Bild von den "alternden Astern" wirklich nur der Alliteration wegen geschrieben sein sollte, dann würde ich viel eher annehmen, daß aus diesem Grund die Astern herhalten mußten und nicht irgendwelche anderen Blumen mit auffallender Blüte und unscheinbarer Frucht... und daß Rilke wirklich von alternden Blumen sprechen wollte.
gliwi hat geschrieben:bei einer Blume von "Altern" zu sprechen, scheint mir nicht so ganz passend.

Es fragt sich doch vor allem, wofür ein Bild "passend" ist. Im alltäglichen Umgang mit der Sprache würde ich wohl auch nicht von alternden Blumen sprechen wollen (oh - da fallen mir "Die armen Worte" ein...).
Dennoch führt gerade dieses Bild im Gedicht, im Zusammenhang mit der Zeile:
der ist vergangen wie ein alter Mann.
mich zu den vorher geäußerten Gedanken vom Blühen und Reifen, die Du, gliwi, dann doch wieder überzeugend fandest...

Wie auch immer. Wir können es natürlich alle miteinander nicht sicher wissen, warum Rilke etwas genau so geschrieben hat, wie er's getan hat.
Wie schön jedenfalls, daß er's getan hat!

:lol:

stilz
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