Lieber
lilaloufan (und alle anderen, die das Mitlesen hier noch nicht aufgegeben haben
),
zunächst möchte ich kurz rekapitulieren (bitte widersprich, wenn ich’s falsch verstanden haben sollte!):
Du zitierst
Lou Albert-Lasard:
Lou Albert-Lasard hat geschrieben:«Sollte man nicht meinen, dass selbst in seinen Liebesbeziehungen es immer dieselbe Liebe sei, die er in einer Weise, die sei beinahe verwechselt, feiert, um sich dadurch mit dem Leben der andern zu verbinden? Hat er nicht immerfort seine eigene Projektion erlebt?»
und schreibst dann:
lilaloufan hat geschrieben:
LAL entdeckt eben kein DESIDERIUM CHRISTI, das Rilke umtriebe, nicht die Sehnsucht zur Einswerdung „mit dem Leben der andern“, sondern es scheint ihr eine VOLUPTAS AMANTIS [na ja mindestens eine DELECTATIO AMATORIS], kreisend in sich um immer dasselbe, ungeachtet der Einzigartigkeit der jeweiligen Geliebten.
Und Du scheinst LAL darin zuzustimmen, und schließt das aus Rilkes Sehnsucht nach „intransitiver Liebe“, seiner Sehnsucht, wie die Rose ununterbrochen im „Zustand der Liebenden“ leben zu können.
Ich überblicke das Thema dieser Diskussion nicht mehr so ganz --- im Moment scheint es mir darum zu gehen:
Was bedeutet „Liebe“?
Und:
Was bedeutet „Liebe“ für Rilke?
Ich fang mal mit der ersten Frage an: was ist unter „Liebe“ zu verstehen, na, vielleicht nicht „in der Welt“, das würde zu weit führen, aber: in dieser Diskussion?
(Und natürlich kann ich diese Frage nur aus meinem derzeitigen Blickwinkel zu beantworten versuchen).
Im Johannesbrief hast Du
ho Theos mit „Menschen-Ich“ übersetzt (ich glaube zu verstehen, was Du damit sagen willst; dennoch stimme ich Dir in diesem Fall nicht zu.).
Dafür hast Du
agape überhaupt nicht übersetzt.
Ich bin weder Sprach- noch Bibelwissenschaftlerin, aber ich möchte doch kurz auf die Begriffe
agape und
eros eingehen.
Unter
agape kann man die „absteigende“, die schenkende Liebe verstehen, unter
eros im Gegensatz dazu die „aufsteigende“, die begehrende Liebe.
Also schließe ich:
agape, die von
ho Theos, dem ein-en Gott, ausgeht, steigt zum Menschen-Ich herab. Dieses Menschen-Ich kann darin eintauchen (ich denke an Johannes den Täufer, der die Menschen im Jordan tauch/fte) und in dieser Liebe bleiben.
Das Menschen-Ich aber, das
selber die Quelle von Liebe werden will… das wird zunächst „aufsteigende Liebe“ empfinden, also
eros, für mich ist das auch ver-einzelte Liebe, gegenüber der all-einen Liebe des all-einen Gottes…
Du schreibst vom „Einswerdenwollen mit dem Wesen des Menschen“, von der „Hinorientierung auf das Menschen-Urbild, den Christus“.
Dazu ist es meiner Meinung nach nötig,
agape und
eros miteinander zu vereinen.
Ich möchte dazu –
und das finde jetzt ich „gewagt“ , aber ich sage dazu: ich bin nicht einmal katholisch – aus der Enzyklika „
Deus caritas est“ von
Papst Benedikt XVI. zitieren:
Papst Benedikt XVI hat geschrieben:In der philosophischen und theologischen Diskussion sind diese Unterscheidungen oft zu Gegensätzen hochgesteigert worden: Christlich sei die absteigende, schenkende Liebe, die Agape; die nichtchristliche, besonders die griechische Kultur sei dagegen von der aufsteigenden, begehrenden Liebe, dem Eros geprägt. Wenn man diesen Gegensatz radikal durchführte, würde das Eigentliche des Christentums aus den grundlegenden Lebenszusammenhängen des Menschseins ausgegliedert und zu einer Sonderwelt, die man dann für bewundernswert ansehen mag, die aber doch vom Ganzen der menschlichen Existenz abgeschnitten würde. In Wirklichkeit lassen sich Eros und Agape — aufsteigende und absteigende Liebe — niemals ganz voneinander trennen. Je mehr beide in unterschiedlichen Dimensionen in der einen Wirklichkeit Liebe in die rechte Einheit miteinander treten, desto mehr verwirklicht sich das wahre Wesen von Liebe überhaupt.
Und nun zur zweiten Frage.
Was bedeutet „Liebe“ für Rilke?
In der „Unausgedehntheit seines Standpunkts“ sieht er die „Gefahr des Liebenden“.
Und über die Rose schreibt er:
c'est l'état de celui qui aime...
Mais tu n'as pas pensé ailleurs.
(das ist der Zustand dessen, der liebt…
Aber du [o Rose] hast nirgend anders hingedacht.)
Es gibt wohl drei Dinge, die die "Liebe der Rose" von der des Menschen (also, des sogenannten „Normalsterblichen“
) unterscheiden:
Die Rose
zielt nicht (sie könnte es gar nicht, denn sie ist ortsgebunden; und gerade das verleiht ihr schließlich einen „ausgedehnten Standpunkt“).
Die Rose
klammert nicht (ganz im Gegenteil, sie läßt sich sogar abwehrende Stacheln wachsen).
Die Rose
verwandelt alles in eine Hand voll Innres…
Die Rose liebt also „intransitiv“. Aber sie spiegelt sich dabei nicht bloß selbstgefällig in ihrem eigenen Inneren, sondern
alles nimmt sie liebevoll in sich auf, um es „
in eine Hand voll Innres zu verwandeln“.
Liebender zu sein mit „ausgedehntem Standpunkt“, ohne die Gefahr des „besitzergreifenden Klammerns“, und schließlich alles zu „verwandeln“… das sind wohl die Dinge, die Rilke von der Rose lernen wollte.
Ist das
„voluptas amantis“ (für alle, die im Lateinischen nicht so versiert sind: Wollust des Liebenden)?
Ich möchte zunächst etwas (vielleicht schon wieder ein bisserl „Gewagtes“
) vorausschicken:
Ich liebe die lateinische Sprache, weil ich an ihr viele Entdeckungen über den Ursprung der Worte und den Zusammenhang der Begriffe mache…
voluptas – das unterscheidet sich nur in einem einzigen Buchstaben von einem anderen Wort, nämlich
voluntas (Wille).
Der Buchstabe, der die beiden Worte unterscheidet, ist in letzterem ein
verbindender Klinger, in ersterem ein
Verschlußlaut.
Voluptas bedeutet für mich: sich dem Sinnlichen so hinzugeben, daß das Tor zum „Göttlichen“ dabei
verschlossen wird.
Voluntas hingegen (es steht auch im Vater unser:
fiat voluntas tua – Dein Wille geschehe) --- da gibt es kein verschlossenes Tor, sondern eine Schwelle, die uns erlaubt, die „sichtbare“ und die „unsichtbare“ Welt als zu einer einzigen Welt miteinander
verbunden wahrzunehmen.
In einem Brief (an
Clara, 3.9.1908) schreibt Rilke davon,
daß sich das Sensuelle so ausbreiten und verwandeln muß, daß es gleich stark und süß und verführend ist an jeder Stelle, in jedem Ding. Daß jedes Ding das Geschlechtliche übersteigt und in seiner sinnlichsten Fülle ins Geistige überschlägt, mit dem man nur noch in Gott beisammen liegen kann.
Hier finde ich gerade das Gegenteil von einem Verschließen vor dem „Göttlichen“!
Ich glaube daher,
voluptas amantis in dem von mir oben geschilderten Sinn als hauptsächliches Motivationssystem, das Rilke „umtriebe“, können wir ihm nicht vorwerfen.
Nun noch zur
delectatio amatoris (meinst Du die „Lust des Liebhabers“? Ich übersetze es viel lieber mit „sich erfreuen daran, daß man Liebender ist“)
Wenn man, so wie Rilke, das „Göttliche“ in der Liebe, ja, auch in der „aufsteigenden“ Liebe, im
Eros, empfindet…
Sollte man sich denn dann daran nicht
erfreuen dürfen? --- Ich meine nicht: bloße
Lust.
Rilke auch nicht. Für ihn ist Liebe
Arbeit, dafür gibt es unzählige Belege, hier nur ein vielzitiertes
Beispiel:
Liebhaben von Mensch zu Mensch: das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist.
Und zur Freude schreibt er
(hier): denn die Realität jeder Freude ist unbeschreiblich in der Welt, nur in der Freude geht noch die Schöpfung vor sich…
Also ja:
delectatio amatoris in dem von mir übersetzten Sinn, das scheint mir vorzuliegen.
Aber ist das denn wirklich ein Gegensatz zu
desiderium Christi (
desiderium bedeutet Sehnsucht, Verlangen)?
Du sagst:
lilaloufan hat geschrieben:
Das Einswerdenwollen mit dem Wesen des Menschen. Der Weg dahin beginnt beim für das Wesentliche aufmerksamen Blick auf das Ding. Aber das Gehen dieses Wegs ist von allem Anfang an geleitet von dieser Seelensehnsucht, allmählich mit der Menschlichkeit (humanitas) übereinzustimmen. Der Zusammenhang, den ich andeutete, ist die Hinorientierung auf das Menschen-Urbild, den Christus.
In einem anderen Brief Rilkes heißt es:
Ich kann nicht anders, als im Menschlichen immer gleich bis an den Heiligen hindenken (in dem erst mir alles begreiflich und notwendig wird).
Der Zustand des „Heiligen“, das ist es, was Rilke sucht. Heil-ig, heil und ganz, genau wie die Rose, mit dem Unterschied, daß man es als Mensch
bewußt sein kann, was die Rose
unbewußt ist... und dann ist die Liebe des Menschen-Ichs „ein Gott“, wie Du,
lilaloufan, sagst. Und
Eros und
Agape sind vereint (das sage
ich...)
lilaloufan hat geschrieben:Aber das Gehen dieses Wegs ist von allem Anfang an geleitet von dieser Seelensehnsucht, allmählich mit der Menschlichkeit (humanitas) übereinzustimmen.
Dazu fällt mir ein Satz von
Moshé Feldenkrais ein, aus seinem Buch
„Bewußtheit durch Bewegung“:
Moshé Feldenkrais hat geschrieben:Ich glaube, wir leben in einer kurzen Übergangszeit, die das Heraufkommen des homo humanus, des wahrhaft ganzen Menschen ankündigt. Es scheint nicht ausgeschlossen, daß wir ihn noch erleben.
Und Feldenkrais versucht, seinen ur-eigenen Beitrag dazu zu leisten, indem er dazu anleitet, jede Muskelfaser mit
menschlichem Bewußtsein zu erfüllen (vielleicht ähnlich wie es im „Archaischen Torso“ als „göttlicher Leib“ empfunden wird…) – denn: Alles „Heile“ wird - vom
Menschen -
willen-tlich getan.
Eine ganz ähnliche Entschlossenheit, das ganze Leben mit Bewußtsein zu erfüllen, und damit
eins zu werden mit dem Wesen des Menschen, meine ich bei Rilke zu finden, nicht nur in seinen Werken, da sowieso, sondern es spricht auch aus jedem einzelnen der Briefe, die ich bisher gelesen habe.
Ich frage mich – und auch Dich - noch immer, was Rilke Deiner Meinung nach dennoch „gefehlt“ hat zum
desiderium Christi.
Lieben Gruß
stilz
P.S.: ist natürlich viiiiiel zu lang, tut mir leid, aber ich hab keine Ahnung, wie ich kürzer hätte antworten können...
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)