der Ölbaum-Garten

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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Fritz
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der Ölbaum-Garten

Beitrag von Fritz »

Hallo,


eine Frage zu "Der Ölbaum-Garten". Könnte man sagen, dass Rilke sich hier mit dem "Ich" auch selbst meint oder ist es - "lediglich" - Jesus im Garten Gethsemane ? Ich habe Probleme mit der Perspektive des Gedichts .

"...Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in mir, nein.
Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein.
Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein.

Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham... "

Und wer ist man bei "... Später erzählte man: ein Engel kam..."

Wäre schön, wenn mir jemand weiterhelfen könnte .

Viele Grüße von Fritz :lol:
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo Fritz,

zuerst einmal: ich bin weder eine "Expertin" noch betrachte ich mich als profunde Rilke-Kennerin.
Vor diesem Hintergrund:

Ich sehe den "Ölbaum-Garten", ebenso wie die früher geschriebenen Christus-Visionen, als eine künstlerische Auseinandersetzung Rilkes mit dem Thema "Christus".

Und zwar mit einem bestimmten Aspekt aus dem Leben Christi, nicht zwingend konform mit und schon gar nicht beschränkt auf die "herrschende religiöse Lehre".

Eine der möglichen Vorstellungen, ausgehend vom sachlichen Gehalt der Berichte darüber, ist die, daß Christus vor seinem Tod zu verzagt war, um die Rolle weiterhin zu erfüllen, die ihm aufgetragen war, oder die er sich vorgenommen hatte, oder die ihm erst die Nachwelt "angedichtet" hatte, oder wie auch immer.
Und diese Möglichkeit ist es meiner Meinung nach, die Rilke darstellt.
Dazu muß er nicht selbst in das "Ich" schlüpfen, ich glaube, das ist sogar unabhängig davon, ob er von der "historischen Wahrheit" dieser Möglichkeit überzeugt war oder nicht.

Es ist fast ähnlich wie mit den "Ding-Gedichten" (oder jedenfalls, soweit ich das bisher verstanden habe):
Wenn zB die Gefangenschaft des "Panthers" dargestellt wird, ist es nicht nötig, daß Rilke selbst sich gefangen fühlt... aber er kann dieses gefangene Tier so eindrücklich schildern, daß immer wieder Leser versucht sind, daraus irgendwelche "tieferen symbolischen Wahrheiten" mit autobiographischem Gehalt abzuleiten.

Das scheint mir überhaupt oft zu passieren, daß Rilke für eine Art "Born der Erkenntnis" oder sogar "Rezeptbuch fürs Leben" gehalten wird und man dann Schwierigkeiten hat, weil man plötzlich auf eine Stelle stößt, in der er eine "Meinung" zu vertreten scheint, die nicht "stimmt" oder "richtig ist"...

Ich habe nicht den Eindruck, daß Rilke in seinen künstlerischen Werken (in den Briefen ist das natürlich etwas anderes!) "Meinungen" vertritt. Ich denke vielmehr, er taucht ganz ein in einen bestimmten Aspekt einer Sache oder Situation, und manchmal sind es sogar verschiedene Aspekte, die einander zu widersprechen scheinen, die er in verschiedenen Gedichten darstellt... ich denke zB an die "Pietà" aus dem Marienleben und die andere "Pietà" ("So seh ich, Jesus, deine Füße wieder")...

Dazu kommt, daß für Rilke die "Klage" besonders inspirierend gewesen zu sein scheint, also alles "Unerlöste", Traurige, oder auch Ausweglose, das Scheitern... da liegt es nahe, auch bei der Auseinandersetzung mit Christus-Themen nach solchen Blickwinkeln zu suchen.

Bis hierher brauche ich noch keine biographischen Informationen.

Aber natürlich wollen wir auch nicht das unorthodoxe Verhältnis vergessen, das Rilke zu Christus zu haben schien, ich denke zB an den Briefausschnitt über das "Telefon Christus" (ich weiß jetzt nicht auswendig, welcher Brief, aber es ist in Thilos Adventkalender) - oder auch (wieder: künstlerisch betrachtet) den Schluß des "Malte"...


Lieber Fritz, ich hab keine Ahnung, ob meine Gedanken irgendwie hilfreich sein können... zum Schluß nur noch:
"Später erzählte man: ein Engel kam..."

Dieses "man" sind für mich einfach die "Berichterstatter", also zB die Evangelisten, und alle, die jemals in "religiös verbrämter" Weise von diesen Ereignissen erzählt haben...


Liebe Grüße!

Ingrid
Zuletzt geändert von stilz am 21. Mär 2005, 22:28, insgesamt 2-mal geändert.
stilz
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Beitrag von stilz »

Oh, Barbara,

grad war noch ein Beitrag von Dir hier zu lesen, jetzt ist er weg, ich weiß nicht, ob das daran liegen kann, daß ich in meinem Beitrag gleichzeitig ein paar Fehler ausgebessert habe?
Barbara
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Beitrag von Barbara »

Hallo Ingrid,

keine Panik: ich habe meinen Beitrag gelöscht , nachdem ich gesehen hatte, das wir fast gleichzeitig geschrieben haben. Merkwürdig: mir passiert das in letzter Zeit immer öfter, so daß ich mir sage: Vorsicht im Straßenverkehr :wink: !

Nun noch als kleine Ergänzung mein (gelöschter) Beitrag, der lediglich ein Versuch ist zu interpretieren und sich auf folgende Stelle des Gedichts bezieht:

"...der Du nicht bist. ..":

Ich denke dabei an die Aussage Gottes "Ich bin der Ich bin". Diese Aussage wird in dem Zitat negiert und im Garten Gethsemane durch die Verzweiflung Jesus radikal in Frage gestellt . Der Auftrag Jesus in der Gottes Sohnschaft wird hier hinterfragt , vielleicht sogar aufgehoben . Auffällig ist, dass in dem Gedicht zunächst - untypisch für Rilke - sehr kurze Sätze auftauchen .

Im zweiten Teil ist dann die Nacht eine ganz allgemeine , gleichgültige - gegenüber dem Engel:

"...Warum ein Engel? Ach, es kam die Nacht
und blätterte gleichgültig in den Bäumen...":

Erkennen kann nur, wer bereit ist zu erkennen.

Soweit diese kurze Ergänzung von mir.

Viele Grüße von Barbara
Paula
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Beitrag von Paula »

Hallo Barbara,

Du schreibst:
Erkennen kann nur, wer bereit ist zu erkennen.
Ich finde das einen sehr schönen Gedanken, der in diesem Gedicht zum Vorschein kommt . Mich erinnert das auch an das Rilkesche Sehen, aber vielleicht ist das zu weit hergeholt ?

Was meint Ihr ?

Viele Grüße von Paula :lol:
Fritz
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Beitrag von Fritz »

Hallo,

danke für Eure zahlreichen Anregungen und Gedanken zu meiner Frage.

Gerade Paulas und Barbaras letzter Gedankengang gefällt mir sehr . Ich habe gerade im "Malte" gelesen, eine Stelle, wo er über das Sehen schreibt:

http://www.rilke.de/roman/roman_14.htm

Seine Fragen sind auch - so sehe ich es - die Fragen eines Suchenden, der erkennt, dass es etwas Allgemeingültiges nicht gibt.

Vielleicht könnte man Euren Gedanken noch erweitern: Erkennen kann nur, wer bereit ist zu erkennen und sich öffnet. Der Sehende weiss (darf wissen), dass er auf der Suche ist. Er muss - und nun bin ich wieder in dem Gedicht - durch die Nacht gehen, um dem Engel (auch hier in der Rilkeschen Bedeutung) zu begegnen. Was meint Ihr ?

Liebe Grüße von Fritz :lol:
Barbara
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Beitrag von Barbara »

Hallo,

eine interessante Fortführung dieser Gedanke, wenn vielleicht auch etwas weit hergeholt , um dieses eine Gedicht zu interpretieren !?

Wie heisst es in dem Gedicht:

"...Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich-Verlierenden läßt alles los,
und sie sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mütter Schooß...."

Sicher gehört auch immer ein Stück des Hoffen und Erwarten (auf einen Engel) dazu , erkennen zu können und zu wollen...

Barbara
stilz
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Beitrag von stilz »

Hallo,

liebe Barbara, ja, so sehe ich es auch, und ich würde auch noch "Vertrauen" nennen wollen.

Ein Gebet ohne das Vertrauen, daß Gott ist... das ist ein armseliges Gebet, und auf so ein "verlorenes" Gebet hin kommt kein Engel, sondern nur die Nacht, die nicht "groß" wird, sondern gleichgültig bleibt...

Auch wenn in diesem Gedicht geschildert wird, wie es sein könnte, wenn man dieses Vertrauen verliert:
Es bedeutet für mich auch gleichzeitig, daß wir es in der Hand haben, ob wir den "Engel" in unsere "Nacht" holen oder eben nicht.

Wie heißt es so schön:
"Suchet, so werdet Ihr finden. Klopfet an, so wird Euch aufgetan" - - -

Ingrid
Paula
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Beitrag von Paula »

Hallo Ingrid und Barbara,

ich denke dabei auch an den "verlorenen Sohn" - im biblischen Gleichnis und in Rilkes "Malte".

Liebe Grüße und schöne Feiertage,
Paula
Fritz
Beiträge: 65
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Beitrag von Fritz »

Hallo,

ich hole jetzt dieses "alte" Thema mal wieder hervor, denn irgendwo habe ich gelesen , dass es eine Verbindung gibt zwischen diesem Gedicht und S. Kierkegaards "Entweder-Oder" . Leider weiss ich nicht mehr, woher ich das habe und wo ich etwas dazu finden könnte . Was meint Ihr, könnte das zusammen passen ? Könnt Ihr mir bitte helfen ?

Fritz :lol:
mäce
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Registriert: 25. Jun 2006, 21:45

Beitrag von mäce »

Ich habe mal in den alten Beiträgen gewühlt, da ich für mein Maturagespräch diverse Rilkegedichte analysieren darf/muss/sollte... :roll: :oops:

Ich bin auf diesem Fach der Gedichtanalyse nun echt kein Genie, aber je mehr ich mich mit den Rilkegedichten befasse, um so mehr begreiffe ich diese Gedichte (oder ich denke es zumindest).

Nun hätte ich aber eine Frage:

Stimmt es, dass es sich bei diesem Gedicht (Ölbaum-Garten) durchgehend um Verse mit fünfhebigen Jamben handelt?

Ich wäre dankbar, wenn mir da jemand weiterhelfen könnte.

Vielen Dank und Gruss

Marcel
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Hallo Marcel,
Fünfhebige Jamben ja, durchgehend nein. Nur überwiegend. Schon der erste nicht, es sei denn, man würde gegen jede Betonungsregel das "...ter" von "unter" als Hebung nehmen. Auch der vierte nicht: Er fängt mit einem Daktylus an. Ebenso der sechste. Ganz raus fällt auch der einzelne 15. 17: zwei Daktylen. 21: Nur 4 Hebungen. 19: Daktylus am Anfang. Also zu 1 sage ich nichts, da musst du dich selber für eine Betonung entscheiden und entweder zwei Hebungen nebeneinander setzen - Spondeus heißt das, wenn ich mich recht erinnere - oder drei Senkungen annehmen. Drei Senkungen auch im 15.
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
mäce
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Registriert: 25. Jun 2006, 21:45

Beitrag von mäce »

Ok, danke für die schnelle Antwort.

Ich werde mich da weiter drum kümmern... :D
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lilaloufan
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Versmaße

Beitrag von lilaloufan »

Gar nicht schlecht bei begrifflichen Unsicherheiten ist die Wikipedia®-Site: http://de.wikipedia.org/wiki/Verslehre . Die sinnstimmige Betonung suchen und zählen kann man dann ja selber, am besten mit den Füßen… :) :wink:
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
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