1. Duineser Elegie

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

Paula
Beiträge: 239
Registriert: 29. Feb 2004, 11:01

Beitrag von Paula »

Hallo helle, Ingrid, Marie und alle anderen ,

helle, ich bin froh, dass Du noch da bist ! Lass Dich umarmen !

Der Baum am Abhang ? Feste Wurzeln müsste er haben , damit er nicht abstürzt , ins Rutschen gerät . Ist es eher ein grosser, starker oder eher ein kleiner, schwacher Baum am Abhang ? Was meint Ihr ?

Sicher sollte die immanente Textanalyse im Vordergrund stehen unseres Austauschs . Andererseits kann es auch interessant sein, wenn man ab und zu - am Rande - etwas an Hintergrundinformationen erfährt , zb aus dem Leben des Dichters . Wir können doch auch voneinander und miteinander lernen im Forum. Das ist meine Meinung - eine von vielen hier .

Liebe Grüße von Paula :lol:
gliwi
Beiträge: 941
Registriert: 11. Nov 2002, 23:33
Wohnort: Ba-Wü

Beitrag von gliwi »

Einigen wir uns doch auf Folgendes:
Es gab im Gefolge der Freudschen Psychoanalyse eine Richtung in der Literaturwissenschaft, die alle Äußerungen eines Dichters /einer Dichterin nur noch aus dessen/deren Biografie und Neurosen interpretierte. Das war natürlich einseitig und übertrieben und wurde dem dichterischen Werk nicht gerecht. Andererseits kann ein soches Wissen recht hilfreich sein zum Verständnis - also ein Hilfsmittel und nicht ein Endzweck. Ein persönliches Beispiel: als ich, so mit 15, zum ersten Mal "Die Verwandlung" von Kafka las, dachte ich: So ein Blödsinn, ein Mensch verwandelt sich nicht in einen Käfer. Dann erfuhr ich von dem schwierigen Verhältnis Vater-Sohn Kafka ... und es fiel mir wie Schuppen von den Augen, sowohl der biografische Bezug als auch das Allgemeingültige, Überzeitliche und Exemplarische dieses Textes erschlossen sich mir dadurch. Deswegen würde ich immer dafür plädieren, etwas über die Autoren in Erfahrung zu bringen, wenn man die Möglichkeit dazu hat, aber dann bei der Interpretation nicht dabei stehenzubleiben, sondern zum Allgemeingültigen vorzustoßen.
Noch ein gutes Neues Jahr allen rilke-FreundInnen, so zwischen "Überstehen ist alles" und "Du musst dein Leben ändern"
Gruß
gliwi
Max
Beiträge: 3
Registriert: 5. Dez 2004, 10:16
Wohnort: Marburg
Kontaktdaten:

Beitrag von Max »

Hallo Marie,
danke für den Hinweis - es bringt doch etwas (und macht natürlich auch Spaß), die Textstellen heranzuziehen. Was Marie von Thurn und Taxis berichtet, hat Rilke selber in "Erlebnis I und II" beschrieben. Übrigens ungeheure Seiten!
Aber die Verse der ersten Elegie: "Es bleibt uns vielleicht / irgend ein Baum an dem Abhang, dass wir ihn täglich / wiedersähen" können sich nicht darauf beziehen, scheint mir, denn Marie von Thurn und Taxis beschließt ihren Bericht: "Er hatte sich nie getraut, an diese versteckte Stelle zurückzukehren..."
Einmal mystische Einmaligkeit, das andere Mal "das verzogene Treusein einer Gewohnheit".
Ich bin gespannt, was du dazu meinst.
Alles Gute, Max
Marie
Beiträge: 308
Registriert: 9. Mär 2003, 21:27
Wohnort: rhld.-pfalz

Beitrag von Marie »

Hallo Max,
die Textzuordnungen zu biographischen Hintergründen bleiben wohl immer auch etwas spekulativ und letztendlich ist es für uns auch nicht wesentlich (vielleicht war es das nicht einmal für Rilke selbst?!).
Auf der anderen Seite gab es für einen ruhelosen Geist wie ihn nirgendwo einen Ort des täglichen Wiedersehens, so dass möglicherweise die Orte, die sich als besonderes Erlebnis in Rilkes vielgepriesenem Weltinnenraum ausprägten vielleicht die einzigsten waren, die er jederzeit wiedersehen konnte???
Für mich war einfach die Parallele von Duino - Elegien und Duino - "Baum-Erlebnis" ausschlaggebend für die Verknüpfung von beidem.

Viele Grüße :?: :shock: :D
Paula
Beiträge: 239
Registriert: 29. Feb 2004, 11:01

Beitrag von Paula »

Hallo gliwi,

schöner wäre es, wir würden erst das Allgemeingültige anschauen und dann erst die Biographie des Autoren dazu befragen . Die meisten Rilke Gedichte scheinen in sich verständlich zu sein, oder ?

Liebe Grüße an alle von Paula :lol:
stilz
Beiträge: 1226
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Beitrag von stilz »

Hallo, Ihr alle, wie schön, daß dieses Thema noch immer weitergeht!

Ja, Paula, genauso sollten wir es machen, finde ich!
Und selbst wenn einmal etwas nicht sofort "in sich verständlich" zu sein scheint, es lohnt sich (zB gerade bei den Duineser Elegien), es so lange immer wieder im Zusammenhang zu lesen, bis ein verständliches Bild entsteht.
Und erst dann, wenn ich mal soweit gekommen bin, werde ich neugierig und frage mich, was hat Rilke erlebt und erfahren, um gerade auf diesen Gedanken zu kommen... und ich bin eine neugierige Person, denn in ähnlicher Weise bin ich neugierig auf das, was andere zu seinen Texten assoziieren mögen, und durch das alles entstehen auch in mir neue Bilder...


Ich hatte diesen Baum zunächst als irgendetwas genommen, das gleichzubleiben scheint, an dem man sich "festhalten" kann, und da war es mir gar nicht so wichtig, ob es nun ein Baum ist oder ein Stein, und ob er nun an einem Abhang steht oder nicht, denn auch ein Abhang, wenn er nur immer wieder getreulich da ist, kann ja etwas sein, an dem man sich innerlich "festhält" --- aber es ist auch ein einleuchtendes Bild, daß ein Baum in dieser Hinsicht noch wichtiger wird, wenn er an einem Abhang steht, und daß es auch richtig und wichtig ist, daß es gerade ein Baum ist, der sich fest verwurzeln und daher noch mehr Sicherheit bieten kann...

Und nun - danke, Max, für den Hinweis auf "Erlebnis", diese beiden Erlebnisse hat schon mal jemand ins Forum gestellt, also konnte ich sie gleich lesen... und nun bin ich nicht sicher, ob die Tatsache, daß Rilke nicht wieder zu dieser Stelle zurückkehren wollte, wirklich bedeutet, daß es keinen Bezug gibt: denn der Erzähler dieser Erlebnisse fühlt sich doch unendlich sicher an diesem Baum, wie "auf die andere Seite der Natur geraten", den Blick vielleicht wirklich ins "Offene" gerichtet...

Wißt Ihr, in welchem Zusammenhang diese "Erlebnisse" veröffentlicht wurden? Hier im Forum war leider keine Quellenangabe dabei.

Liebe Grüße!

stilz
Max
Beiträge: 3
Registriert: 5. Dez 2004, 10:16
Wohnort: Marburg
Kontaktdaten:

Zeichen des Ausgesetztseins

Beitrag von Max »

Es geht mir gar nicht um das Biografische, sondern um das Verständnis der Stelle in der Ersten Elegie. Und da scheint mir nun doch, dass der Baum, in Anklang an das "Erlebnis", der am Abhang steht, das Ausgesetztsein und vor allem auch das Sich-Aussetzen: Wachsen am Abgrund, bildhaft verdeutlicht. Danach kommt dann das "verzogene Treusein einer Gewohnheit", also der Bereich des Alltäglich-Gewöhnlichen, dann jedoch wieder "die Nacht... welche dem einzelnen Herzen mühsam bevorsteht". Der Hinweis von Marie hat mir also weitergeholfen. Nochmals vielen Dank dafür.
Überhaupt gefällt mir rilke.de sehr gut. Ich habe nun auf unserer Homepage: http://www.marburger-forum.de einen Link angebracht.
Allen einen schönen Sonntag, Max
Gast

Beitrag von Gast »

Hallo,
auf die Gefahr hin, wieder in die Diskussion von früher zurückzufallen, möchte ich zu Rilkes 'Baum' etwas ergänzen:
Eine (sehr) alte Dame, die als Schulmädchen einige Spaziergänge mit Rilke unternommen hat, hat mir erzählt, er sei öfter zu einem Baum gegangen und habe zu ihr gesagt: 'Man muss den Baum streicheln, denn er hat eine Seele.'
Nun mag das ja eine ziemlich schnurrige Geschichte sein, aber sie ist dem damaligen kleinen Mädchen so sehr im Gedächtnis geblieben, dass sie auch heute kaum mehr etwas anderes von diesem Dichter weiß, nicht einmal, ob Rilke die Worte in deutscher oder französischer Sprache gesagt hat.
Für die Interpretation bringt das natürlich nicht viel, außer wie weit eine solche Metapher sein kann und, dass es nicht nur auf das Aufspüren von literaturwissenschaftlich belegter Intertextualität ankommt, sondern Metaphern auch von woanders herkommen und sich ausbilden können. Rilke war eben kein zünftiger Literaturwissenschaftler, leider. Und er schreibt nicht nur für rilke.ch...
Aber das haben wir wohl längst bemerkt.
svenja

Beitrag von svenja »

Hallo,

ich finde es schön, dass es so viele unterschiedliche Meinungen und Beiträge gibt zu diesem Thema . Nur möchte ich - still und leise - , ja ich reg mich nicht mehr auf - versprochen - darum bitten, dass wir gemeinsam nach Antworten suchen . Aus allen unterschiedlichen Erfahrungen heraus. Ich habe Angst, dass die Grossen , die Alten, die Rilke-Kenner vieles wissen, was ich nicht wissen kann als Neuling und doch noch jüngeren Semesters - und dann die Diskussion nur unter sich führen . Bitte hört uns (noch) Unerfahrenen auch zu ! Sicher bringen wir auch Ideen mit, die neu sind und auf denen sich wieder aufbauen lässt ! Ich höre Euch auch gerne zu ! Und ich lese viel !

Liebe Grüße von Svenja :lol:
Paula
Beiträge: 239
Registriert: 29. Feb 2004, 11:01

Beitrag von Paula »

Hallo,

mir gefällt die Geschichte mit dem Baum sehr . Es ist ein wunderbares Bild: der Baum am Abhang hat eine Seele , man muss ihn streicheln ! Ich werde gleich heute einen langen Spaziergang machen und darüber nachdenken !

Liebe Grüße von Paula :lol:
stilz
Beiträge: 1226
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Beitrag von stilz »

Hallo,


noch ein anderer Rilke'scher Gedanke zum Thema "Baum", zu finden im Stunden=Buch bzw "Mönchischen Leben":


Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.

Aus ihnen kommt mir Wissen, daß ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie der Baum,

der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.



Ich finde die Vorstellung faszinierend und sehr ungewöhnlich, daß so ein Baum mithilfe seiner Wurzeln einen Traum aus der Seele des "vergangnen Knaben" bekommen könnte...

Auch ich werde jetzt einen Spaziergang machen und aufmerksam sein, wie ich die Bäume wahrnehme...


Liebe Grüße

Stilz
Barbara
Beiträge: 484
Registriert: 30. Dez 2003, 17:54
Wohnort: Stuttgart Bad Cannstatt
Kontaktdaten:

Beitrag von Barbara »

Hallo,

zum "Weltinnenraum" gibt es eine Ausstellung in München vom 10.3. bis 7.4.2005 der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst. Dieses nur als kleiner Tipp für alle Reisenden in der Aussen- und Innenwelt ... Ich merke immer mehr, wie wichtig auch Phantasie und Kreativität sein kann ...

Nähere Infos über:

http://www.dgfck.de/aktuelles.html

Liebe Grüße von Barbara :lol:
Antworten