Lieber vivic,
vivic hat geschrieben:
Ich bin natuerlich ueberwaeltigt, fuehle mich wie ein ganz kleiner Stein welcher mit einem winzigen Ruck ein ganzen Erdrutsch verursacht hat.
Ja, das muß einer erstmal ins Rollen bekommen, daher eine Verneigung meinerseits mit Freude über Deine wiedererlangten Kräfte und Dank für Deine Antwort!
vivic hat geschrieben:Die vielen Verbindungen in Rilke's Werk und Denken die schon jetzt in euren "Antworten" zusammengestrickt sind, da koennte ihr drei doch bestimmt ein Buch daraus machen. [...] Und dann verschwindet womoeglich diese ganze Webseite wieder in irgend ein Computerunfall! Man muesste diese Antworten schoen vorsichtig irgendwo aufbewahren...
Du befindest Dich bereits inmitten des unerschöpflichen Buches, das wir machen, eines, in dem man nirgendwo auf "Keine Vorschau" oder "Snippet-Ansicht" stößt ...
"Adoptiert" heißt nicht, vor den großen Ferien irgendwo aussetzen ... also keine Sorge, es gibt immer Sicherungsmöglichkeiten, (mir persönlich reicht das allerdings im Herzen, da gibt's auch kein Abstürzen) -- laß Dich von dem einen Crash bitte nicht entmutigen!
vivic hat geschrieben:Seit dieser Zeit wage ich nicht mehr, selbst Gedichte zu schreiben; ich wollte vorlauefig nur Rilke lesen. Eigentlich habe ich vom Anfang angefangen, und las in diesem Monat nur das Stundenbuch.
Gute Wahl! Das ist nicht nur (bild)sprachlich ganz wunderbar, da ist auch inhaltlich einiges angelegt, was ich für einen jungen Mann an Gedanken als absolut außergewöhnliche Reife betrachte, eine Art Sturm und Drang der Befreiung hin zur eigenen Stimme, die er damit fand, möchte ich fast sagen, und trotz Krisen weiter und weiter festigte.
Und was das Schreiben anbelangt, liegen Deine Gedichte eben noch ungeschrieben in Deiner inneren "Rosenschale", das spart auch Platz
-- so wie in meiner
Lieblings-Elegie von Rilke (keine Duineser, die "an Marina") angedeutet:
Wir vermehren es nicht, wohin wir uns werfen, zu welchem
Sterne hinzu! Im Ganzen ist immer schon alles gezählt.
Was ich faszinierend finde ...
vivic hat geschrieben:Darum war meine Entdeckung dieser Spanische Trilogie neulich so eine Erleuchtung, weil ich seine Umgebung selber erlebt habe; ich kenne das gute Land in meinem Blut. Muss auch zugeben, dass ich mir nicht den Kopf zerbreche ueber die "Bedeutung" seiner einzelnen Gedichte; mein eigenes Vorfahren ist meistens dass ich laut lese; ich habe das erste dieser drei Gedichte jetzt beinahe auswendig, aber da kommt mir es nicht so daran, ich bin ja kein Schauspieler. Aber Poesie fuer mich ist sehr nahe zu Musik. Und es ist auch nahe zum Unbewussten, nicht im Freudische Sinne, aber man kann ja auch etwas "wissen" ohne es in Worten sagen zu koennen. Ja, wie ein Gebet; Gedicht ist bei mir mehr wie eine Religion (die einzige die ich habe) und nicht eine Wissenschaft.
... ist zunächst Deine Leseerfahrung hinsichtlich Deiner innigen Beziehung zum "Originalschauplatz". So etwas kenne ich auch mit einigen wenigen Gedichten, da tauchen ganz eigene Bilderfluten und Gefühle auf ... Das ist ein ganz besonders wertvoller Vorsprung, über den Du vielleicht noch einiges mehr zu berichten weißt, im Laufe des Gesprächs? Wäre schön!
Dann das Gefühl beim Lautlesen in Verbindung mit Musik. Auch Musik "weiß ohne Worte", ja, und wenn wir der Musik der Poesie, sprich Sprachmelodien, Versformen und rhythmischen Bewegungen nachspüren, ist das für mich eigentlich auch noch keine Wissenschaft, sondern neben Gesang ... Tanz
vivic hat geschrieben:Nun, ich habe doch einige Gedanken ueber dieses erste der drei Gedichte, sehr zaghafte. Zwischen den Neuen Gedichte und den Elegien hat sich doch etwas bei Rilke veraendert, entwickelt, gewachsen. Das interessiert mich, genau wie bei Beethoven sich etwas veraendert hat zwischen Sinfonien #2 und #3. Mit der Eroica ist etwas anderes da. Aber was ist es? Nun, ich glaube dass sich das irgendwie ausdrueckt mit diesem UND MIR, und mir, und mir mir mir.... Von Rodin hat er gelernt, vorsichtig das Auessere zu beobachten. Er war sich selbst im Wege, er wollte objectif und sachlich werden, er sprach vom "Ding" und von Genauigkeit.
Die Ding-Gedichte zähle ich schon nicht mehr unter den Ding-Begriff, den er in der Trilogie weiterentwickelt hat. Dem "anderen", was Rilke erfuhr, haben wir versucht als "Neues Sehen" auf die Spur zu kommen, lies Dir den Thread in Ruhe durch, Du wirst viele interessante Gedanken zum Wiederanknüpfen finden, die wir noch gar nicht weiter verfolgt haben -- Jetzt ist eine gute Chance!
vivic hat geschrieben:Hier in Ronda, und vielleicht in diesem Gedicht, ist ihm ploetzlich klar geworden, dass er selbst etwas enthielt das von grosser Wichtigkeit war und das in dem Werk sich auessern musste. Eine Wendung zum Subjectiven, zum Herz?
Ja. Er ruft das Prinzip des Herzens an. Nennen wir es mal das "schöpferische Prinzip" eines einzigartigen Künstler-Herzen. Kaum mehr objektiv, nicht wahr?
Falls Du auch das Gedicht
Wendung (1914) meinst (wird auch noch in die Auslese adoptiert), daran habe ich auch öfters gedacht:
Denn des Anschauns, siehe, ist eine Grenze.
Und die geschaute Welt
will in der Liebe gedeihn.
Werk des Gesichts ist getan,
tue nun Herz-Werk
an den Bildern in dir, jenen gefangenen; denn du
überwältigtest sie: aber nun kennst du sie nicht.
Siehe, innerer Mann, dein inneres Mädchen,
dieses errungene aus
tausend Naturen, dieses
erst nur errungene, nie
noch geliebte Geschöpf.
Und ... an dem einen Ort
das Ding machen, an dem anderen
Herz-Werk tun – das kommt, meine ich, auf dasselbe raus. Was meint ihr?
vivic hat geschrieben:Nun, das ist alles vereinfacht und laecherlich ungenau. Aber irgendwie in dieser Richtung wuerde ich das Gedicht erlauetern, obwohl es kaum so etwas noetig hat. Wir verstehen es doch, mindestens das Gefuehl, die Wucht dieses Erkenntnisses, dieser radikale Schwung oder "Wurf" den Sedna so gut syntaktisch versteht.
Fein, daß Du das mit solch einer Impulsivität nachvollziehen kannst!
Und Dein "lächerlich ungenau" hat mich sehr amüsiert -- ja, uns das zu lehren, darauf versteht sich Rilke hervorragend!
vivic hat geschrieben:Bitte macht weiter, und ich verspreche, ich werde weiter lesen und versuchen, mitzumachen. Es ist so gut wieder heir zu sein!
Nimm Dir die Zeit, die Du brauchst, lieber vivic!
Bis bald mit herzlichen Grüßen
sedna